Zeitgeschichte regional | 05. Jg., 2001, Heft 2

5,11 

Beschreibung

Die „Zeitgeschichte regional“ hat ein neues Gesicht. In die Jahre gekommen, war die Redaktion gemeinsam mit der Geschichtswerkstatt der Meinung, daß ein wenig facelifting ganz gut tun würde, und Marco Pahl hat als professioneller Gestalter sein Skalpell angesetzt. Der Kompromiß ist ein immer noch vorhandener Wiedererkennungseffekt mit bedienungsfreundlichen Akzenten. Herausgeber und Redaktion sind zufrieden. Der Gestalter ist fast zufrieden. Das muß wohl so sein.
Es ist immerhin das zehnte Heft, und die Summe der blaßgrünen Rücken ist in der Bücherwand bereits ein gewichtiger Faktor – in inhaltlicher und optischer Hinsicht. Diesem ersten bescheidenen Jubiläum sollen viele weitere folgen.
Daß die äußerliche Schönheitskur mit dem inhaltlichen Thema „Kultur“ zusammentrifft, ist ein Zufall, den man aber schmunzelnd hinnehmen kann. Doch Kultur ist nicht nur das „Sahnehäubchen“ des Lebens. Inhaltlich zeigt sich dann, daß es auch nicht so sehr um die schönen Seiten der Kultur in ihren Äußerungen geht, sondern, dem Anliegen der Zeitschrift entsprechend, um Hintergründe – und die heißen dann weniger spannend „Kulturpolitik“. Gerade beim Vergleich der Beiträge von Hermann Langer und Wolf Karge wird schnell klar, daß sich im 20. Jahrhundert ein Spannungsbogen aufbaut von einer sich selbst organisatorisch strukturierenden Kunstszene, die staatspolitisch wenig beeinflußt ist, bis zur völligen Politisierung der Kultur durch die Nationalsozialisten. Leider fehlt dann ein ähnlich breit angelegter Beitrag für die Zeit der SBZ/DDR. Es hat in der Redaktion nicht an Ideen dazu gefehlt – nur wollte sich keine Autorin oder kein Autor finden lassen, die/der sich diesem Thema relativ kurzfristig gewachsen zeigte. Das hochinteressante Interview mit Dr. Heinz Gundlach und der Beitrag von Beatrice Vierneisel können dieses Manko aber mildern. Doch das Thema kann durchaus in einem der folgenden Hefte wiederkehren. Es scheint noch reichlich Potential zu bergen.
Ein anderer Komplex läßt sich aber vielleicht, mit dem Hauptthema korrespondierend, unter dem Titel „Streitkultur“ vereinnahmen. Das ist die Rubrik Diskussion, die wohl am besten von Mathias Rautenberg als Beobachter scharfzüngig kommentiert und auch teilweise glossiert wird. Diese Diskussion findet hoffentlich, wie angekündigt, ihre Fortsetzung, könnte sie doch so etwas wie eine Katharsis hervorrufen, die zumindest für die an der Debatte oder „Disputation“ aktiv Beteiligten am Ende das lutherische Bekenntnis: „Hier stehe ich – ich kann nicht anders!” als Befreiungsschlag hervorrufen kann. Die Geschichtswerkstatt wird das gern unterstützen, und die „Zeitgeschichte regional“ steht als öffentliche Plattform zur Verfügung. Quod erat demonstrandum.
Doch sollen hinter dieser aktuell interessierenden Debatte nicht die wissenschaftlichen Arbeiten vergessen werden, die weiter dazu beitragen, die „weißen Flecken“ der Landesgeschichte mit Farbe zu füllen. Immer wieder ist die Zeit des Nationalsozialismus, obwohl machthabend nur zwölf Jahre real existierend, ein Feld neuer Erkenntnisse. Die von Georg Diederich und Uta Biskup erarbeitete biographische Skizze gibt für diese Zeit über den Lebenslauf hinaus auch einen interessanten Einblick von kirchlicher Arbeit in der Diaspora. Dirk Alvermann und Eckhard Oberdörfer lassen (aus unterschiedlichen Perspektiven) die immer noch umstrittene Namensgebung für die Greifswalder Universität von 1933 deutlich werden, und Manfred Berger untersucht den Lebensweg der Rostocker Psychologin Rosa Katz. Der Bericht von Katharina Hoffmann aus und für Niedersachsen sollte in dem Zusammenhang Anregung sein, das Thema Zwangsarbeit in der Landwirtschaft auch für die agrarisch strukturierte Region Mecklenburg und Vorpommern wesentlich stärker in den Blick historischer Forschung zu nehmen.
Beeindruckend ist wieder einmal die Breite der Berichterstattung zu regionaler Geschichtsarbeit, durch die sich ganz eigennützig auch wieder Hoffnungen auf Beiträge für „Zeitgeschichte regional“ nähren. Besonders die Eröffnung des „Dokumentationszentrums für die Opfer deutscher Diktaturen“ in Schwerin und die Entwicklung in Alt Rehse sind lange erwartete Beiträge zur Erweiterung des Angebots musealer Gedenkstätten in Mecklenburg-Vorpommern. Die von René Mounajed durchgeführte und kommentierte Befragung in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück zeigt die
aktuelle Notwendigkeit zur Schaffung von anschaulichen Argumentationsräumen für Jugendliche. Während hierzu die beteiligte Erlebnisgeneration aber kaum noch zu befragen ist, läßt Christoph Kleemann mit seinem Internetprojekt „Zivilcourage“ Zeitzeugen zur Tätigkeit bei der Staatssicherheit aussagen.
Wichtig und unverzichtbar sind weiterhin die Rezensionen. Unsere Rezensenten haben sich wieder durch tausende Seiten spannender und auch langweiliger Literatur gearbeitet. Ihre Lobeshymnen und Verrisse sind in diesem Heft nachlesbar.
„Zeitgeschichte regional“ sieht zwar äußerlich etwas jugendlicher aus, bleibt innerlich aber bei den bewährten alten Strukturen in seinem Duktus.

Ihre Redaktion