Beschreibung
Mit diesem Heft wird ein Jubiläumsjahrgang – der 20. – von „Zeitgeschichte regional“ eingeleitet. Die Ausgabe steht weitgehend im Zeichen der auf den Zweiten Weltkrieg folgenden Geschichte. Gleichwohl zeigen die meisten Beiträge aber auch, wie sehr die Zeit vor der Zäsur 1945 präsent blieb und bis heute bleibt. Die Texte folgen Fragen, nicht „Gewissheiten“, und fordern Klischees heraus.
Der Bericht von Michael Heinz über den Sohn eines in der Weimarer Republik führenden Funktionärs der KPD, Franz Dahlem, zeigt die Tragik von Menschen zwischen kommunistischer Utopie und der nach 1917 im Osten Europas entstandenen gesellschaftlichen Realität. Der von der DDR-Führung als faschistischer Putsch denunzierte Juni-Aufstand von 1953 hatte erklärte kommunistische Anhänger, ja Anführer. Heinz beschreibt Robert Dahlem als Protagonisten des Werftarbeiterstreiks in Rostock, der zum Scheitelpunkt eines Lebensweges zwischen revolutionärem Enthusiasmus, Funktionärsmilieu und tragischem Ende wurde. Auch Beatrice Vierneisel zeigt Sensibilität für die Würdigung von Menschen in der Spannung zwischen gesellschaftlicher Gebundenheit und individueller Freiraumsuche. Am Beispiel des Malers Manfred Kastner, der im Stralsund der DDR-Zeit seinen Ansprüchen zu folgen suchte, skizziert sie seinen Lebensweg.
Die Schicksale der 1945 in Ostpreußen allein zurückgebliebenen Kinder, die im Herbst 1947 in mehreren Transporten aus Kaliningrad nach Mecklenburg-Vorpommern kamen, waren durch Traumata vorgeprägt. Den neuerlichen Auszug aus der Dissertationsschrift von Karin W. Hall verdanken wir einmal mehr der über 90-jährigen Schwerinerin Ursula von Appen. Die Lasten und langen Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges verdeutlicht auch die Neubrandenburger Stadtarchivarin Eleonore Wolf mit ihrem Beitrag ,,Allen Toten ihre Namen“. Sie beschreibt, wie in letzter Zeit die Dimensionen des Kriegsgefangenen-, Repatriierungs- und „Speziallaqer“-Komplexes Fünfeichen auf der Grundlage neuerer Forschungsergebnisse erfahrbar gemacht wurden, vor allem, nachdem deutlich geworden war, dass neben den in den vergangenen 25 Jahren mit besonderer Aufmerksamkeit recherchierten tausenden Opfern des sowjetischen „Speziallaqers“ mindestens ebenso viele Opfer des Kriegsgefangenenlagers Fünfeichen in der Erde ruhen.
Neuland beschreiten wir mit dem Bericht über das Kernkraftwerk Greifswald, das Ausdruck der Ambitionen und der Grenzen des DDR-Sozialismus war. Lange haben wir nach zu diesem Thema forschenden Autoren gesucht. In Sebastian Studes Beitrag steht der Umgang mit dem von der Kernspaltungstechnik ausgehenden Risiko in diesem Kraftwerk, insbesondere nach der Katastrophe von Tschernobyl und vor allem aus der Perspektive des Ministeriums für Staatssicherheit, im Vordergrund. Der Fluch „der Staatssicherheit“ wirkt fort, indem deren Hervorhebung immer noch die Geschichtsschreibung über die DDR-Zeit überlagert. Die derzeitige Diskussion über die Zukunft der BStU-Behörde und die Zuordnung der archivischen Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit ist davon auch geprägt und lässt bisweilen irrationale Züge aufscheinen. Matthias Manke, im Landeshauptarchiv Schwerin für die neueste archivische Überlieferung zur Geschichte unseres Bundeslandes zuständig, setz t sich in pointierter Weise mit einer in der Ostsee-Zeitung inszenierten Debatte über die Zukunft der Stasi-Unterlagen der drei DDR-Nordbezirke auseinander.
Die reale historische Entwicklung kennt keine „Stunde Null“, wo die Geschichtsschreibung sich begrifflicher Hilfsmittel wie „Zäsur“ o.ä. bedienen zu müssen meint. Wie die Geschichtslehrer/innen und deren Ausbilder/innen an den Hochschulen mit dieser Übergangssituation in Mecklenburg-Vorpommern umgingen, beschreibt Martin Buchsteiner. Damit leistet er einen wesentlichen Beitrag für die Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte des von ihm an der Universität Greifswald vertretenden Faches Didaktik und Methodik des Geschichtsunterrichtes. Die Geschichte dieser Transformation ist für Rostock mit dem langfristig wirkenden Stigma des Pogroms von Lichtenhagen im August 1992 verbunden. Seither hat es viele Ansätze der Auseinandersetzung damit gegeben. Einige wurden bereits in früheren Ausgaben von „Zeitgeschichte regional“ vorgestellt. Florian Frederik Manthey setzt sich mit neuen, im Theaterstück und Hörspiel „Sonnenblumenhaus“ von Dan Thy Nguyens und Iraklis Panagiotopoulos entwickelten erinnerungskulturellen Sichtweisen auseinander. Im Mittelpunkt stehen die vietnamesischen Opfer von damals: ,,Angst hatte ich nicht.“
In der Rubrik „Das Dokument“ stellt Klemens Grube zwei Berichte über die Auflösung des Wirtschaftswissenschaftlichen Seminars der Universität Greifswald und den Verbleib seiner Bibliothek (1950/51) vor. Der Verfasser der Berichte, der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Anton Fleck, war der nach 1945 einzig verbliebene, weil nicht Mitglied der NSDAP gewesene Hochschullehrer der früheren Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät.
Dem Anspruch, Anregungen aus der regionalen Geschichtsarbeit und für das historische Lernen zu vermitteln, bleibt „Zeitgeschichte regional“ auch in dieser Ausgabe treu. Simone Labs beendet mit der Vorstellung der Wanderausstellung „Faces Of Cold War – Gesichter des Kalten Krieges“ die Berichtserie über das gemeinsam von Partnern aus Norwegen, Dänemark, Deutschland, Polen und Estland realisierte Projekt. Sandra Pingel-Schliemann fasst Erfahrungen über 2014 und 2015 durchgeführte Radtouren im Grenzland zwischen Bundesrepublik und DDR zusammen. Martin Buchsteiner kommt in seinem Bericht über die Veranstaltung „Zeugen der Shoah – Lehren und Lernen mit Video-Interviews“ zu dem Schluss, dass nach wie vor ein großer Bedarf an regelmäßigen Fortbildungen zu dem Themenkomplex besteht. Florian Ostrop liefert einen Zwischenbericht über ein landesweites Projekt über Homo- und Transphobie in Mecklenburg-Vorpommern. Zu einem Blick über den Landes-„Tellerrand“ verhilft uns Olaf Matthes aus Hamburg mit seinem Beitrag über das Symposium „Raubkunst? Silber aus ehemals jüdischem Besitz – wie gehen Museen damit um?“.
Rezensionen, Annotationen und Neuerscheinungsanzeigen sollen auch diesmal das Informationsangebot abrunden.
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