Zeitgeschichte regional | 21. Jg., 2017, Heft 1

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Beschreibung

Wir, die Redaktionsmitglieder von „Zeitgeschichte reqional“, versuchen in regelmäßigen Sitzungen die Hefte zu planen. Bisweilen erleben wir aber, dass uns dann ganz andere Ergebnisse begegnen. So war es diesmal nicht geplant, ein Themenheft zum Nationalsozialismus in Mecklenburg anzubieten. Gleichwohl, da ist es nun: Heft 1 des 21. Jahrgangs – wir sind damit zufrieden, verbunden mit der Hoffnung, dass Sie es nach der Lektüre auch sind. Die aus dem Erlebnishorizont der Zeitgenossen des frühen 21. Jahrhunderts allmählich entschwindende erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hat immer noch so viel Wirkungsmacht und bietet trotz der jahrzehntelangen Beforschung noch so viel Stoff, dass unsere „Zeitgeschichte“ noch lange nicht ohne die Einbeziehung der kritischen Betrachtung jener Jahrzehnte auskommen wird.
Jakob Schwichtenberg hat sich mit der Inszenierung und Instrumentalisierung der Festung Dömitz als „Festung des nationalsozialistischen Geistes “ aus Anlass der 700-Jahrfeier der Ersterwähnung von Dömitz 1935 befasst. Ein mit politisch begründeten Verbrechen verbundener Kulturfrevel anderer Art wirkt bis heute fort und verschafft einer historischen Teildisziplin eine eigene Bedeutung: Provenienzforschung zur Identifizierung von unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern. Berichte über bedeutende Kunstsammlungen wie im Fall Gurlitt erreichten eine hohe mediale Aufmerksamkeit. Da davon ausgegangen wird, dass es sich bei Fällen wie jenem eher um die Spitze des Eisberges handelt, wird seit Jahren die gezielte Suche nach geraubtem Kunst- und Kulturgut in musealen oder wissenschaftlichen Sammlungen gefördert. Antje Strahl, die in der Universitätsbibliothek Rostock nach geraubten Büchern recherchierte, stellt die Mühen dieser Suche sowie einige Befunde über „außergewöhnliche Erwerbungen zwischen 1933 und 1945“ vor.
Sowohl der Beitrag von Rene Wiese über das Beispiel der Auseinandersetzungen um die Pastoren Johannes Beltz und Paul Nix in der Gemeinde Uelitz also auch der Aufsatz von Felix Seidel über die Spaltung der Kirchengemeinde Eldena und die sich daraus ergebenden kirchenpolitischen Auseinandersetzungen in den Jahren 1933-1937 beschäftigen sich mit dem „Kirchenkampf‘ im Nationalsozialismus und machen beide klar, dass damit eher der Kampf um einen Platz im politischen System der von der NSDAP dominierten Gesellschaft als dagegen geführt wurde. Der Versuch religiöser Selbstbehauptung der Bekenntnisgemeinden gegenüber den antisemitischen, rassistischen Ideologemen der Nazis wurde indes von diesen als Widerstand bekämpft.
Die Lebenswege im Nationalsozialismus erscheinen bisweilen verschlungen, Bekenntnisse zu dessen amorpher Ideologie schillernd, zumal in Loyalitätskonflikten etwa mit christlichen Glaubensbekenntnissen. Daraus erwachsene Konflikte wurden nicht selten nach 1945 zur Exkulpation oder für die Entwicklung von Widerstandslegenden herangezogen. Ulrich Peter beschreibt in der biografischen Skizze über Werner May (1903-1975) so einen schillernden Lebensweg: Sohn aus gutbürgerlichem, protestantischem Elternhaus, abgebrochener Theologiestudent, Lehrer, dessen Weg in ein Pfarramt in Mecklenburg und spätere Wechsel zwischen den Konfessionen wohl nur mit der Konstellation unter der Führung des sogenannt deutschchristlichen Bischofs Walter Schultz erklärbar ist. Die Beziehung zwischen beiden muss wohl eine besondere gewesen sein, da May Schultz über dessen Tod hinaus mit Hilfe seiner weiteren Berufung – der Schriftstellerei – rehabilitieren wollte. Während jene beiden – Schultz und May – vergleichsweise glimpflich über den Bruch von 1945 hinwegkamen, brachte dieser für viele Andere den Zusammenbruch im Wortsinne. Das Sterben erreichte unter der deutschen Zivilbevölkerung in vielen Orten Vorpommerns und Mecklenburgs im Mai 1945 einen dramatischen Höhepunkt. Die Zahl der Selbsttötungen ging in einer Reihe von Städten in die Hunderte. Demmin hat in diesem Zusammenhang traurige .Berühmtheit“ erlangt. Matthias Manke unterzieht in diesem Heft das Sterben in Dargun und Neukalen im Jahr 1945 auf der Grundlage verfügbarer Quellen einer Analyse. Er benennt dabei eine systematische, übergreifend vergleichende Analyse als Desiderat. Der erhoffte Neubeginn war mit vielen Hypotheken belastet. Die Entwicklung der DDR blieb immer auf ihre Vorgeschichte und auf die Konkurrenz zum anderen deutschen Staat bezogen. Diese Konfrontation durchdrang alle gesellschaftlichen Bereiche. Für den Sport hatte sie eine besondere Bedeutung. Ralph Kaschka beschreibt am Beispiel von Traktor Schwerin die Durchdringung einer Sportorganisation durch das MfS „im Kampf gegen den BND“.
Peter Danker-Carstensen, der vormalige Direktor des Schifffahrts- und Schiffbaumuseums Rostock, hat mit seinem Eintritt in den Ruhestand begonnen, Rostocker Museumsgeschichte, insbesondere die Geschichte der maritimen Museen, aufzuarbeiten. Für „Zeitgeschichte regional“ hatte er bereits einen Abriss der Entwicklung des Rostocker Schifffahrtsmuseums verfasst. Hier folgt nun ein Überblick über die 20-jährige DDR-Geschichte des Schiffbaumuseums Rostock von 1970 bis 1990 – Museumsgeschichte wie aus einer anderen Welt: eine Geschichte von Enthusiasmus, ideologischer Enge, heute undenkbar scheinenden Kooperationsmöglichkeiten und erzwungenem Erfindungsreichtum.
Diese Ausgabe von „Zeitgeschichte regional“ wird fast vollständig durch Aufsätze gefüllt. Schlaglichter auf die Geschichtsarbeit im Land werden diesmal nur mit zwei Themen geworfen. Matthias Manke ergänzt in der Rubrik „Diskussion“ seine hier bereits früher vorgetragenen „Ansichten über die Zukunft der Stasi-Unterlagen der drei Nordbezirke“ und bricht einmal mehr eine Lanze dafür, der von zahlreichen Wissenschaftlern seit langem angemahnten ganzheitlichen Betrachtung der DDR-Geschichte durch eine Zusammenführung der archivischen Überlieferung von SED, Parteien und Massenorganisationen, Staatssicherheit und übrigem Staatsapparat zu entsprechen.
Andreas Wagner erinnert mit einem Nachruf an eine ihm durch die Beschäftigung mit der Geschichte des Strafvollzugs in Bützow bekannt gewordene Zeitzeugin, die in dieser Rolle einen Beitrag zur Neugestaltung des Bützower „Krummen Hauses“ geleistet hat: Margarete Wegener (1928-2017). Rezensionen bzw. Annotationen sowie Informationen über Neuerscheinungen von Publikationen zur Zeitgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns sind und bleiben auch weiter ein wichtiger Eckpunkt von „Zeitgeschichte regional“.

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