Zeitgeschichte regional | 26. Jg., 2022, Heft 1

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Beschreibung

Als die Rostocker Geschichtswerkstatt 1995 gegründet wurde, gab es bei der Erforschung der Geschichte zwischen 1933 und 1945 noch große Lücken, von denen aber viele in den letzten 25 Jahren geschlossen werden konnten. Insoweit ist es auch ein Zeichen für das bisher Erreichte, dass sich die HistorikerInnen im Nordosten verstärkt mit der DDR-Geschichte befassen. Der Schwerpunkt des vorliegenden Heftes liegt jedenfalls eindeutig auf der Zeit zwischen 1945 und 1989.
Im ersten Beitrag beschäftigt sich Gabriele Förster ausführlich mit dem Einsatz von Film, Lichtbild und Rundfunk in der Schulgesundheitspflege Pommerns während der Weimarer Republik. Schon 1922 versuchte das Reichsgesundheitsamt – mit allerdings eher begrenztem Erfolg – durch Einsatz eines „Pockenfilms“ Impfgegner vom Nutzen einer Pockenschutzimpfung zu überzeugen. Waren die technischen Probleme bei der Verwendung neuer Medien an den Schulen anfangs groß, so professionalisierte sich das Verfahren zusehends und wurde bereits in der Reichsgesundheitswoche 1926 und 1927 beim „Fliegenfeldzug“ mit großem Erfolg an den pommerschen Schulen eingesetzt.
Auch der folgende Beitrag von Klara Wejda über die Seuchenstation „Tannenkrug“ und die Typhusepidemie in Neubrandenburg 1945-1946 hat eine medizinhistorische Ausrichtung. Fraglos hat die COVID-19-Pandemie, die seit 2020 die deutsche Politik dominierte, das Interesse an der Frage, wie früher Infektionskrankheiten bekämpft wurden, gefördert. Die Behauptung der sowjetischen Offiziere, in Russland gebe es keine Infektionskrankheiten, nur in Deutschland seien diese Seuchen ein Problem, zeigt anschaulich, wie untrennbar in Diktaturen Gesundheitsfürsorge und Propaganda miteinander verbunden sind. Aber obwohl der Staat in der DDR neben der medizinischen Versorgung auch soziale Aufgaben wahrnahm, die bis dahin in der Hand von Kirchen, Stiftungen und Verbänden gelegen hatten, gab es doch einzelne Einrichtungen, die nicht aufgelöst oder verstaatlich wurden. Oskar Böhm untersucht die Peter-Warschow-Stiftung in Greifswald als Sonderfall einer in der DDR fortbestehenden Stiftung. Bereits im Spätmittelalter gegründet, verfügte diese traditionsreiche Stiftung dank ihres umfangreichen Landbesitzes über eine tragfähige wirtschaftliche Basis und wurde durch das ehrenamtliche Engagement lokaler Handwerker getragen.
Zwei weitere Aufsätze widmen sich maritimen Themen. Wolfgang Matthäus untersucht die Zusammenarbeit des Warnemünder Instituts für Meereskunde mit sowjetischen Meeresforschungseinrichtungen zwischen 1950 und 1991, welche jungen DDR-Wissenschaftlern immer wieder den Aufenthalt auf sowjetischen Forschungsschiffen im Atlantik ermöglichte. Sehr viel konfliktreicher verlief demgegenüber die maritime Zusammenarbeit mit dem Westen, wie Peter Danker-Carstensen anhand der Bespitzelung des Schifffahrtshistorikers Dr. Jürgen Meyer aus Bremen durch das MfS in den Jahren 1986/87 illustriert. Mit Ablehnung und Misstrauen verfolgte die Staatssicherheit Meyers Bemühungen, in der DDR eine Sektion des internationalen Verbandes von Seeleuten, die Kap Horn umsegelt hatten, zu gründen.
Da es kaum einen Lebensbereich in der DDR gab, für den sich das Ministerium für Staatssicherheit nicht interessierte, spielt dieser Aspekt auch bei den folgenden Aufsätzen eine Rolle. Peter Boeger untersucht den maßgeblich vom MfS organisierten deutsch-deutschen Abfallhandel am Beispiel der Deponie Schönberg. Er zeigt, dass die DDR-Behörden kaum kontrollierten, was angeliefert wurde, und auch nicht wussten, wo man die betreffenden Abfälle auf der Deponie abgekippte. Giftiges Sickerwasser wurde in großen Becken gesammelt, die wiederholt überliefen. Bis 1989 verdiente die DDR mehr als 100 Mio. DM durch diese fragwürdigen Geschäfte. Westdeutsche Politiker, die sich Sorgen um eine bis nach Lübeck reichende Verseuchung des Grundwassers machten, wurden getäuscht und ließen sich offenbar auch gern täuschen, um ihren Müll weiterhin auf eine augenscheinlich leichte Art zu entsorgen.
Am Ende des Aufsatzteils schildert Walther Bindemann Aufbau und Tätigkeit der von der Staatssicherheit kritisch beobachteten mecklenburgischen Arbeitsgruppe Frieden in den Jahren 1981-1985, an der er als Pastor und Vertreter des Oberkirchenrates maßgeblich beteiligt war. Trotz immer wieder aufkommender Spannungen zwischen der Amtskirche und den kirchlich organisierten Friedensgruppen entwickelte sich hier die Basis für eine fruchtbare Zusammenarbeit, die bis zum Ende der DDR fortdauerte.
In der Rubrik „Dokumente“ stellt Wolf Karge zuerst die vom Chef der Propaganda- und Informationsabteilung der SMAD in Berlin, Oberst Sergej Tjulpanow, unterzeichnete Lizenzurkunde für den Hinstorff Verlag vom 10. Dezember 1947 und dann das Protokoll der maßgeblich von den beiden Großbauernfamilien im Ort initiierten LPG-Gründung in Lankow (Kreis Grevesmühlen) vom 5. August 1958 vor.
Die Rubrik „Regionale Geschichtsarbeit“ beginnt mit einem Bericht von Florian Ostrop über die bisherige Arbeit des Runden Tisches für Mecklenburg-Vorpommerns Regionalgeschichte, der in den letzten zwei Jahren durch regelmäßige Online-Treffen der in Archiven, Bibliotheken, Universitäten, Museen, Gedenkstätten, Stiftungen und Vereinen an der Landesgeschichte interessierten Personen versucht hat, die Schaffung eines breit aufgestellten, interdisziplinär arbeitenden Instituts anzuregen.
Anschließend berichtet Silvia Kannegießer über die von der Metropolregion Hamburg großzügig geförderte Vernetzung und Professionalisierung der 25 entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze befindlichen Museen und Gedenkstätten.
In der Rubrik „Historisches Lernen“ verweist Martin Buchsteiner besorgt auf den Rückgang der Teilnehmerzahlen am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten in Mecklenburg-Vorpommern, für den 2019/20 zum Thema „Sport“ nur noch fünf Beiträge eingingen.
Im folgenden Interview erläutern Jochen Schmidt und Steffi Brüning das Konzept der neu eröffneten und nun von der Landeszentrale für politische Bildung getragenen Gedenkstätte in der ehemaligen Untersuchungshaft der Staatssicherheit Rostock. Angesichts der sehr heterogenen Zusammensetzung der Zielgruppen, die von Schülern bis zu ehemaligen Häftlingen reicht, wird die Gedenkstätte eine Vielzahl von Formaten entwickeln und dabei vor allem die Besonderheiten der Repression im Ostseebezirk Rostock herausarbeiten.
Den Schluss bilden dann wie immer die Rezensionen und Anzeigen von Neuerscheinungen zeitgeschichtlicher Veröffentlichungen aus der Region.

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