Zeitgeschichte regional | 25. Jg., 2021, Heft 2

8,00 

Beschreibung

Auch wenn die Herausgabe wissenschaftlicher Zeitschriften durch die COVID-19-Pandemie nicht so stark beeinträchtigt wurde wie die Veranstaltung von Tagungen und Ausstellungen, so war doch auch das Zustandekommen des vorliegenden Heftes von „Zeitgeschichte regional“ von einigen Schwierigkeiten begleitet. Für die Rostocker Geschichtswerkstatt erwies sich dabei vor allem die zeitgleiche Betreuung der schwieriger gewordenen Arbeit im Kröpeliner Tor als ein ambitioniertes Unterfangen, das viel Zeit und Arbeitskraft band.
Trotzdem enthält dieser Band mit immerhin sieben wissenschaftlichen Aufsätzen eine Fülle gewichtiger Beiträge zur neueren Geschichte Mecklenburgs und Vorpommerns. Dabei ist die Tendenz erkennbar, mit der DDR und der Zeit nach 1990 auch gerade die jüngere Zeitgeschichte verstärkt in den Blick zu nehmen.
Im ersten Beitrag präsentiert Alexander Kendzia die Ergebnisse seiner Bachelor-Arbeit über das Kino in Greifswald in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die von ihm vorgenommene systematische Auswertung des täglichen Kinoprogramms vermittelt interessante Erkenntnisse über die Filme, die die Greifswalder in dieser Zeit zu sehen bekamen. Auffallend ist der hohe Anteil reiner Unterhaltungsfilme, denen nur verhältnismäßig wenige „politische“ Filme gegenüberstanden. Ebenfalls noch mit den Auswirkungen der NS-Zeit befasst sich Matthias Manke, der eine interessante Quelle aus dem Jahr 1948 vorstellt und in ihren historischen Kontext einordnet. Es handelt sich hierbei um einen „Persilschein“, in dem der ehemalige Rostocker Professor für Geschichte Wilhelm Schüssler dem früheren mecklenburgischen Staatsminister Friedrich Scharf bestätigte, er habe 1933 die Ausreise des jüdischen Psychologieprofessors David Katz nach England ermöglicht.
Die folgenden drei Aufsätze beschäftigen sich mit verschiedenen Aspekten der Geschichte Mecklenburgs und Vorpommerns in der DDR. Antje Strahl und Reno Stutz zeigen, dass sich die Provenienzforschung dankenswerterweise mittlerweile nicht mehr nur mit der Zeit bis 1945 befasst, und schildern den Umgang mit Kulturgut aus Flüchtlingsrücklässen im Bezirk Schwerin zwischen 1945 und 1989. Während die von den Republikflüchtigen zurückgelassenen Möbel und Haushaltsgegenstände meist ohne weiteres unter den Dorfbewohnern aufgeteilt wurden, wurden die (wenigen) Kunstgegenstände und wertvollen Bücher, die sich hier fanden, in der Regel an die zuständigen Museen der Gegend abgeliefert. Dass sich in Archiven nicht nur trockene Dokumente, sondern gelegentlich recht spannende Begebenheiten finden, schildert Sebastian Eichler an Hand seiner Verzeichnung der Akten des Greifswalder Konsistoriums, in denen er ausführliche Berichte über die tumultartigen Auseinandersetzungen zwischen dem Pastor und dem Superintendenten fand, die sich 1955 in der Gemeinde Probstheida bei Leipzig ereigneten. Ein ganz anderes Thema behandelt dann Wolfgang Matthäus, der – reich bebildert – die abenteuerliche Fahrt des Forschungsschiffes „Prof. Penck“ durch die Treibeisfelder Spitzbergens im Jahr 1962 beschreibt.
Die beiden letzten Aufsätze befassen sich mit der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns nach 1990. Michael Sauthoff schildert daten- und faktenreich den Aufbau des Gerichtswesens in dem 1990 geschaffenen Bundesland. Die personelle Diskontinuität war in diesem Bereich so stark wie in kaum einem anderen; von 348 Richtern und Staatsanwälten des Jahres 1990 wurden nur 121 übernommen. Das Gros der 659 Planstellen im Jahr 1995 musste folglich neu besetzt werden. Anders sah es im Bereich des Kultusministeriums aus, was aber auch nicht ohne Probleme blieb, wie Martin Buchsteiner und Martin Nitsche an Hand der Veränderungen in den Geschichtslehrplänen zwischen 1990 und 2019 illustrieren. Die Lehrer wurden zwar weiter beschäftigt, mussten sich aber dramatisch umstellen und erhielten wiederholt hohe, keineswegs einfach zu erfüllende Vorgaben.
Eine ganz andere, sehr persönliche Sicht auf die Ereignisse im Nordosten der DDR zwischen 1968 und heute bieten die Erinnerungen des schwedischen Rechtshistorikers Kjell Åke Modéer, der seine Forschungsaufenthalte in Greifswald und mit großer Empathie auch die dort tätigen Archivare schildert. Besonders wertvoll ist hierbei sicherlich die Perspektive von „außen“, die Modéer als nicht beteiligter Beobachter einnehmen kann.
Die Rubrik „Regionale Geschichtsarbeit“ beginnt mit ei-nem Bericht von Gunter Dehnert über die am 1. April 2021 eröffnete neue Dauerausstellung „Pommern im 20. Jahrhundert“ in dem von ihm geleiteten Pommerschen Landesmuseum in Greifswald. Den Schwerpunkt der Ausstellung bilden aussagekräftige Objekte und Zeitzeugenberichte; für die Zeit nach 1945 wird auch die Geschichte des nun polnischen Teils von Pommern in Zusammenarbeit mit den polnischen Kollegen ausführlich präsentiert. Der zweite Beitrag in dieser Rubrik enthält eine kurze Schilderung von Eleonore Wolf über die Hinrichtung von fünf sowjetischen Zwangsarbeitern im Mai 1944 in Neubrandenburg.
In der Rubrik „Historisches Lernen“ berichtet Andreas Wagner über eine im August 2021 mit 25 Geschichtsinteressierten entlang der innerdeutschen Grenze unternommene mehrtägige Radtour. Dieses immer wieder von historischen Vorträgen und Diskussionen begleitete „Bewegungsformat“ wird zukünftig sicherlich eine wichtige Bereicherung der traditionellen Wege der historisch-politischen Bildung darstellen. Im zweiten Beitrag erläutert Eckart Schörle, auf welche Weise die von Laien betriebenen „Bürgerwissenschaften“ zu einer Renaissance der derzeit arg daniederliegenden Regionalgeschichte beitragen können, und illustriert seine These an Hand einiger Mut machender Beispiele und Projekte.
Eine prägende Persönlichkeit der Landesgeschichtsforschung der letzten Jahrzehnte war Hermann Langer, der auch zahlreiche Beiträge für „Zeitgeschichte regional“ verfasst hat. Ingo Koch würdigt Wirken und Persönlichkeit des am 23. Mai 2020 verstorbenen Historikers in einem Nachruf.
Den Schluss bilden dann wie immer die Rezensionen und Anzeigen von Neuerscheinungen zeitgeschichtlicher Veröffentlichungen aus der Region.

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