Zeitgeschichte regional | 22. Jg., 2018, Heft 2

8,00 

Beschreibung

Die Themen gehen nicht aus. Erfreulich ist, dass sich auch immer mehr junge Autorinnen und Autoren der Zeitgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns zuwenden und die bereits bekannten „Gestandenen“ immer wieder noch neue Facetten entdecken.
Den Auftakt in diesem Heft bildet ein Beitrag, der sich am Beispiel von Rostock der 100-jährigen Geschichte der Novemberrevolution in Deutschland und ihrer unmittelbaren Folgen unter einem sehr speziellen Aspekt annimmt. Erstmals wird der heute so oft gescholtenen Macht der Medien
(damals noch ausschließlich Printmedien) nachgegangen. Sie haben damals die Menschen tagesaktuell über die sich überstürzenden politischen Ereignisse informiert. Diesem Phänomen spürt Axel Weipert in seiner aufwändigen Untersuchung nach, wobei er das Verhältnis zwischen Peripherie und Zentrum der Revolution gegenüberstellt. Direkt daran schließt der in „Zeitgeschichte regional“ bereits mehrfach aufgetretene Christoph Wunnicke mit seiner Darstellung der USPD in Mecklenburg an. Er geht aber (im Gegensatz zum Titel) auch auf einige Aspekte in Vorpommern ein, um schließlich weiteren Forschungsbedarf zu signalisieren.
Damit erschöpft sich aber das Thema „Novemberrevolution“ in diesem Heft. Einen ganz anderen Blick entwickelt Ingwer Momsen aus einer sehr persönlichen Perspektive. Der ausgewiesene Kieler Historiker kann aber aus seinem theoretischen Wissen die Quellen, die die Tätigkeit seines Vaters umfassen, ein detailreiches Bild der Siedlungsbewegung von Bauern in der Weimarer Republik aus Schleswig-Holstein nach Mecklenburg und Vorpommern zeichnen. Die Aufsiedlung zahlreicher in Konkurs gegangener Güter durch Siedlungsgesellschaften in dieser Region bildet eine wirtschaftliche und soziale Besonderheit, die in vielen Beispielen und Übersichten nachfühlbar geschildert wird. Die akribische Auswahl der Dokumente nimmt die Leser mit auf eine Zeitreise.
Einem wohl unerschöpflichen Thema widmet sich das Redaktionsmitglied und der Autor bereits zahlreicher Beiträge in „Zeitgeschichte regional“ Bernd Kasten. Das Kriegsgefangenenlager Stalag II E in Schwerin stand bisher weitgehend außerhalb der Forschung, die sich in den vergangenen Jahren
stark auf das Stalag II A in Neubrandenburg konzentriert hatte. Der Autor schildert die Ausbeutung dieser Gefangenen als billige Arbeitskräfte, von denen besonders die Soldaten der Roten Armee einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt waren. Die zahlreichen Todesfälle durch Erschöpfung und Entkräftung belegen das eindrücklich. Ein interessanter Aspekt in diesen Untersuchungen ist auch, dass durch den Einsatz dieser Menschen tatsächlich der Mangel an männlichen deutschen Arbeitskräften teilweise kompensiert werden konnte. Andererseits war die physische Überforderung der Erfüllung der Arbeitsaufgaben eher hinderlich. Die Brutalität und die Rücksichtlosigkeit beim Einsatz der Gefangenen zeigen die Willkür der Lagerkommandanten und die Überforderung bei der Versorgung so großer Lager. Eine interessante Facette bildet die dagegen fast menschliche Behandlung französischer Kriegsgefangener, die sich teilweise relativ frei bewegen konnten. Aufschlussreich ist der angeschlossene Exkurs zum Umgang mit den Gräberfeldern der verstorbenen Gefangenen nach 1945.
Matthias Manke widmet sich ebenfalls erneut dem Thema Kriegsende in Mecklenburg 1945. Akribisch geht er den in den vergangenen Jahren immer wieder durch „Erinnerungen“ und Medienberichte kolportierten Massensuiziden beim Einmarsch der Roten Armee in den ersten Maitagen 1945 und in den folgenden Monaten nach. „Quellengesicherten“ publizierten Zahlen geht er auf den Grund und kommt zu anderen Ergebnissen. Trotzdem lässt er keinen Zweifel an der Dramatik und der ausweglosen Wahrnehmung der damaligen Situation durch die betroffenen Menschen. Hervorzuheben ist auch seine Reflexion der gegenwärtigen Erinnerung an diese Ereignisse durch verschiedene politische Lager.
Svenja Gierse aus Neubrandenburg nimmt ein eigentlich erfreuliches Kapitel der Geschichte unter die Lupe. Anlass war eine Sonderausstellung im dortigen Regionalmuseum, das sich in den Räumen des ehemaligen Franziskanerklosters befindet. In der DDR waren die mittelalterlichen Räume in der Backsteinarchitektur als Standesamt außerordentlich beliebt. Das Museum ging deshalb 2017 der Geschichte ziviler Eheschließungen in der Stadt seit der gesetzlichen Regelung von 1876 in einer Sonderausstellung nach. In der DDR wurde besonders versucht, die kirchliche Trauung zu verdrängen, und dafür die „sozialistische Eheschließung“ erfunden. Eine Ironie der Geschichte ist es schon, dass dafür in Neubrandenburg ausgerechnet ein früher durch die Kirche genutztes Gebäude hergerichtet wurde.
In der folgenden Rubrik in diesem Heft von „Zeitgeschichte regional“ wird durch Michael Buddrus ein sehr spezielles Dokument vorgestellt. Er geht dem „Geschenk des Gaues Mecklenburg zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers“ nach. Das ordnet er in den historischen Kontext ein, um dann das Dokument selbst einer Analyse zu unterziehen. Ein zweites „Dokument“ bilden dann mehrere Feldpostbriefe des Rostocker Chemikers Dr. Walter Turm aus dem Jahr 1942, die er von seinem Standort auf der Krim und später von der Ostfront an seine Frau schrieb. Seine Reflexion der Ereignisse an der Front wie auch die Reaktion auf die Bombardierung seiner Heimatstadt Rostock geben ein sehr sensibles Bild von den tatsächlichen und den selbst zugelassenen Gefühlswelten in jener Zeit.
In der Rubrik „Regionale Geschichtsarbeit“ berichtet Florian Ostrop von einem Projekt der Stiftung Mecklenburg, das queere Geschichte in Ausstellungen integrieren möchte. Über ein anderes Feld berichtet Constanze Jaiser in der Rubrik „Historisches Lernen“. Sie beschreibt, wie ein pädagogisch angelegtes Projekt in Neubrandenburg mit der Reflexion von Geschichte an konkreten Orten umgeht und dies an Jugendliche vermittelt. Die Rubrik ,,Aus anderen Ländern“ berichtet von einer Fotoausstellung im Landesverband Rheinland zur .Ruhrchemie“.
Den Abschluss bilden die obligatorischen Rezensionen und Neuerscheinungen.
Insgesamt ist wieder ein pralles Heft mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschungen entstanden.

Ihre Redaktion