Zeitgeschichte regional | 21. Jg., 2017, Heft 2

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Beschreibung

Obwohl es in der Landesgeschichtsforschung in den letzten 30 Jahren wahrlich nicht an tätiger Betriebsamkeit gefehlt hat, weist die neuere Geschichte Mecklenburgs und Vorpommerns immer noch weiße Flecken auf. Es gehört zu dem besonderen Anliegen der Rostocker Geschichtswerkstatt, mit den Beiträgen in „Zeitgeschichte regional“ diese Lücken zu füllen, und sie ist dabei schon ein ganzes Stück vorangekommen. Auch das vorliegende Heft stellt einen Schritt auf diesem Weg dar, indem es neue Erkenntnisse zur Regionalgeschichte präsentiert.
Die junge Potsdamer Historikerin Marie Ch. Behrendt untersucht die Geschichte der Juden in Wolgast in der Weimarer Republik und NS-Zeit. Erstaunlich viele von diesen waren keine alteingesessenen Bürger, sondern erst Anfang der 1920er Jahre als Flüchtlinge aus Westpreußen in die Stadt gekommen.
Der Schweriner Stadtarchivar Bernd Kasten nimmt mit seiner Untersuchung über das Schicksal der in Mecklenburg lebenden bzw. das Land durchziehenden Sinti und Roma in der NS-Zeit eine andere Opfergruppe in den Blick. Die detailreiche Studie erläutert Abläufe und Mechanismen der Verfolgung und nennt in einem Anhang die Namen der Opfer.
Auch was die DDR-Zeit angeht, gibt es für Historiker noch viel zu tun. Und nicht alles davon betrifft die Verfolgung politischer Gegner. Wolf Karge erläutert am Beispiel des 1968 errichteten Warnemünder „Teepotts“ und der von Ulrich Müther entwickelten Hyparschalen, dass die Architekten der DDR durchaus mehr konnten als Plattenbauten auf der grünen Wiese aneinanderzureihen. Der ingenieurtechnisch ausgesprochen innovative Bau steht heute zu Recht unter Denkmalschutz.
Der japanische Historiker Nobuharu Kawai beschäftigt sich mit der Verteilung von Urlaubsplätzen im Bezirk Rostock, einem interessanten und bisher wenig untersuchten Thema der Sozial- und Alltagsgeschichte der DDR. Die staatlichen Pläne zur Organisation der Erholungspolitik standen in einem auffälligen Spannungsverhältnis zur Privatinitiative der Bürger, die die Gestaltung ihres Urlaubs keineswegs dem Staat allein überlassen wollten.
Die von vielfältigen Umbrüchen und Neubesetzungen begleitete Entwicklung der Rostocker Geschichtsmethodik von 1945 bis 1962 untersucht der Lehrer Tino Reuter. Nach recht ermutigenden Anfängen machte sich der Einfluss der SED hier bald immer stärker bemerkbar, und vor allem in der letzten Phase von 1956 bis 1963 verschwammen die Grenzen zwischen intendierender und reflektierender Geschichtsmethodik zunehmend.
Im Mittelpunkt der „Biografischen Skizze“ steht mit Johannes Lachs eine schillernde Persönlichkeit. Peter Danker-Carstensen zeigt, dass Lachs, der 1982 nicht zuletzt auf Betreiben des Ministeriums für Staatssicherheit als Direktor des Schifffahrtsmuseums abgesetzt wurde, selbst jahrelang als Inoffizieller Mitarbeiter tätig gewesen war. Opfer und Täter sind gerade in dieser Geschichte nicht immer klar zu trennen. Die Gründe für die Entlassung von Lachs lagen sicherlich weniger in seinen Westkontakten, seinen Alkoholproblemen und seinen außerehelichen Affären begründet als vielmehr in seiner ständigen Kritik an der mangelnden Unterstützung seines Museums durch Staatsorgane und die SED-Bezirksleitung.
In der Rubrik „Das Dokument“ stellt der in Mainz arbeitende Martin Göllnitz das 1934 entwickelte Projekt, in Rügen eine „Universität des Nordens“ zu gründen, vor. Der an den Führer der Deutschen Studentenschaft Oskar Stäbel gesandte, vom Herausgeber mit ausführlichen Anmerkungen und Kommentaren versehene Plan wurde zwar nie realisiert, zeigt aber, wie groß anfänglich die Unsicherheit innerhalb der NSDAP darüber war, welches hochschulpolitische Konzept verfolgt werden sollte.
Als Diskussionsbeitrag stellt Holger Björkquist vom Förderkreis für Luft- und Raumfahrt Mecklenburg-Vorpommern e.V. seine Sichtweise Ernst Heinkels vor. Nach Björkquists Auffassung stand im unternehmerischen Leben Heinkels immer die Erhaltung der Leistungsfähigkeit seiner Beschäftigten im Mittelpunkt, während das Verhältnis gegenüber seinen Direktoren und Ingenieuren oft von Misstrauen geprägt war, was der Autor auf Heinkels latentes Minderwertigkeitsgefühl zurückführt.
Im Bereich „Regionale Geschichtsarbeit“ befasst sich Helga Radau mit dem Gedenken an das Stalag Luft I in Barth in den Jahren von 1985 bis 2017. In der vorpommerschen Kleinstadt hat sich aus sehr bescheidenen Anfängen seit 1996 mittlerweile ein die historischen Ereignisse detailliert vermittelnder Gedenkort entwickelt.
Johanna Meyer-Lenz stellt unter der Rubrik „Aus anderen Ländern“ die Ergebnisse eines Symposiums am 29. und 30. Juni 2017 im Museum für Hamburgische Geschichte zur Revolution 1918/19 in Hamburg vor. Eine Vielzahl neuer Erkenntnisse aus den Bereichen der politischen Kulturgeschichte, der Diskurs- und Mentalitätsgeschichte ergibt insgesamt einen ganz neuen Blick auf diese bisher in der Forschung wie in der historischen Erinnerung wenig präsente Revolution.
An dieser Stelle möchten wir den Autorinnen und Autoren sowie den Verfassern der Rezensionen und Annotationen herzlich danken. Wir hoffen auf Ihre weitere Mitwirkung.

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