Zeitgeschichte regional | 19. Jg., 2015, Heft 2

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Beschreibung

Das Jahr 2015 liegt hinter uns. Es war – wieder einmal – ein Jahr des Rückblicks auf eine Reihe historischer Zäsuren. Gleichzeitig haben die Entwicklungen der zurückliegenden Monate das Zeug dazu, zumindest den Weg zu einer neuerlichen Zäsur zu markieren. Wie weit uns die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte dafür gewappnet hat, werden Historiker nach uns beurteilen.

In diesem Jahr vollendete der diese Zeitschrift herausgebende Verein, die Geschichtswerkstatt Rostock e.V:, das 20. Jahr seines Bestehens. Der Spiritus rector des Vereins, Peter Köppen, wirft mit seinen Reminiszenzen an eine Vereinsgründung den Blick zurück auf die zahlreichen größeren und kleineren Projekte, deren schriftliche Hinterlassenschaften bereits einige laufende Regalmeter füllen. Allein die Fülle der Publikationen kann Peter Köppen nur andeuten.

Während gerade Stolz über die umfangreiche Überlieferung im Archiv der Geschichtswerkstatt Rostock aufkommt, vermittelt Mattbias Manke von der Situation archivischer Überlieferung von 25 Jahren Landesgeschichte seit 1990 im Landesarchiv Mecklenburg-Vorpommern einen eher zwiespältigen Eindruck. Er macht deutlich, wie sehr die Sicherung dieses Gedächtnisses des Landes vom Verantwortungsbewusstsein der in Politik und Verwaltung tätigen Menschen abhängt. Jedenfalls wird angesichts der beschriebenen Lücken und offenen Fragen die Herausforderung deutlich. Gefördert durch die Jubiläen sind zahlreiche Dokumentationen mit Zeugnissen des Umbruchs von 1989 entstanden. Aber die Zeugnisse des alltäglichen Wandels nach 1990 im Land sind in Gefahr aus der Erinnerung zu verschwinden.

Die Bedeutung von Zeugnissen und Zeugen illustriert auch der frühere Direktor des Rostocker Schifffahrtsmuseums Peter Danker-Carstensen, der in seinem Beitrag die Hintergründe eines Geschäfts mit Kulturgut aus den Rostocker Museen mit dem Deutschen Schiffahrtsmuseum Bremerhaven in den 1970er Jahren behandelt. Mit der Bewertung als „juristisch sauber, doch moralisch zweifelhaft“ beschäftigte der Fall auch die Rostocker Stadtpolitik und belastete die Beziehungen zur Partnerstadt Bremen in den frühen 1990er Jahren.

Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in den 1980er Jahren offenbart sich – nachträglich – auch am Umgang mit den Arbeitskräften in der DDR. Der Zwangsarbeitseinsatz der Bausoldaten bei Großprojekten wie dem Bau des Fährhafens Mukran auf Rügen zeigt dies schlaglichtartig. Wolfgang Klietz illustriert ihre ökonomische Bedeutung in der DDR der 1980er Jahre an diesem Beispiel.

Parallel zu den 25 Jahren deutscher Einheit stand 2015 das Jahr 1945 mit den verschiedenen Facetten, die es repräsentiert, im Fokus. Vom Schicksal der vielen KZ-Häftlinge, die nach ihrer Befreiung noch starben, gibt das Tagebuch des Niederländers Johannes „Han“ van Beem, geschrieben in den letzten Tagen zwischen Befreiung und seinem Tod in Mirow am 20. Mai 1945, eine Ahnung. Die Vorstellung dieses anrührenden Dokuments in der Übersetzung von Matthias Heyl und Henrik Bispinck verdanken wir seinem Enkel Hans van Beem.

Der Erinnerungsdiskurs über das Jahr 1945 stand auch 2015 in der deutschen Gesellschaft im Widerstreit zwischen deutscher Opferperspektive und der Forderung nach Einordnung deutscher Verantwortung. Vor diesem Hintergrund setzt sich Michael Buddrus im Rezensionsteil dieser Ausgabe kritisch mit zwei Publikationen über das Kriegsende 1945 in Rostock und Stralsund auseinander. Andreas Wagnerkommt dort in seiner Besprechung des Tagebuchs eines 1945 bis nach Rostock gekommenen Rotarmisten zu dem Schluss, die Dokumentation des erlebten, erlittenen und selbst verbrochenen Grauens als eine Mahnung gegen jeden Krieg zu begreifen.

Eine Mahnung in diesem Sinne bleibt auch die Geschichte der kampflosen Übergabe von Greifswald am 30. April 1945. In der Stadtgeschichte wird ihr symbolischer Rang als Geschichte von Katharsis und Rettung zugeschrieben. Dahinein stellt die innerfamiliäre Erinnerung auch Paul Grams. Matthias Schubert stellt hier dar, wie das Handeln seines Schwiegervaters, Kapitänleutnant Grams, in seiner Familie überliefert wurde.

Eine weitere Facette der Erinnerungsdebatte spiegeln die von Johanna Jawinsky vorgetragenen Gedanken zum Umgang mit den letzten Ruhestätten der Menschen, die sich dem Naziregime entgegenstellten oder verfolgt wurden, auf den Rostocker Friedhöfen. Berichte von Robert Kreibig über eine deutsch-polnische Veranstaltung zum Gedenken an die Deportation und Ermordung der Juden aus Pommern in Stettin und von Steffen Kliewe vom Rostocker Innerstädtischen Gymnasium über ein Schulprojekt ,,Auschwitz. Ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte“ zeigen einmal mehr, dass die Auseinandersetzung mit diesem Thema in der Geschichtsarbeit der Region einen festen Platz hat.

Eine neue Qualität der Dokumentation des Wissens über die Geschichte der Juden in unserem Land wird mit dem Gedenkbuch für die Juden in Mecklenburg angestrebt. Auf dem Weg zu diesem Gedenkbuch legen Michael Buddrus und Christoph Wegner in dieser Ausgabe von „Zeitgeschichte regional“ eine umfangreiche und beeindruckende Studie mit Zahlenangaben und Schicksalsbeschreibungen über jüdische Studenten und Professoren an der Universität Rostock zwischen 1843 und 1939 vor.

Die Außenwahrnehmung von Mecklenburg-Vorpommern ist nicht selten von Klischees geprägt. Wir können das beklagen oder als Herausforderung begreifen. Dem Land hängt der Ruf an, in Europa zu den Gebieten mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch reinen Alkohols zu gehören. Gabriele Förster zeigt am Beispiel des Kampfes gegen Alkoholmissbrauch an den Schulen Pommerns während der Weimarer Republik, dass der Befund weit zurückreichende Wurzeln hat.

Einer Herausforderung ganz anderer Art haben sich die Stiftung Mecklenburg und der Museumsverband für Mecklenburg und Vorpommern gestellt. Das in der Offline-Welt fehlende Landesmuseum ist virtuell im Bau und wird seit Dezember 2014 mit seiner ersten Ausbaustufe präsentiert. Florian Ostrop berichtet über das museale Online-Angebot www.landesmuseum-mecklenburg.de.

Für die Mitwirkung am Rezensionsteil sowie die Anzeige von Neuerscheinungen danken wir wie immer und hoffen, dass Sie uns auch dabei die Treue halten.

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