Beschreibung
Dieses Heft von „Zeitgeschichte regional“ umfasst 100 Jahre Geschichte und ihre Rezeption in Mecklenburg-Vorpommern. Die Gedenkstätte Wöbbelin bietet gleichsam die Klammer.
Wolf Karge nimmt in seinem Beitrag über die 1916 angelegten Gästebücher beim Grab für Theodor Körner auf den unauflöslichen Zusammenhang von Geschichtsschreibung und Rezeptionsgeschichte Bezug. Er stellt eine Quelle vor, die ihrerseits durch eine 100-jährige Geschichte der Rezeption des Mythos vom „Helden“ Theodor Körner vor geprägt war. 100 Jahre später sucht eine neue Generation nach anderen Zugängen zum Verstehen dieses Ortes. Über die vom Dachverein Mahn- und Gedenkstätten im Landkreis Ludwigslust-Parchim e.V. ausgerichtete Tagung „Archäologie und Geschichte – mit archäologischen Metho den Zeitgeschichte sichtbar machen“ berichtet Bernd Kasten. Er zeigt einen weiteren Horizont heutiger Rezeption, die überdies um kritische Reflexion bemüht ist.
Die Verschränkung aktueller Debatten mit Geschichte zeigt sich bei weiteren Texten in diesem Heft. Die Rolle und Wahrnehmung Vorpommerns wird seit dem Wiederentstehen des „Bindesstrich-Landes“ Mecklenburg-Vorpommern 1990 immer wieder diskutiert. Mit der Einsetzung eines Staatssekretärs für Vorpommern im Herbst 2016 scheint eine neue Qualität erreicht zu sein; mitnichten, wie Matthias Manke anhand von Quellen aus dem Landeshauptarchiv Schwerin dokumentiert. Die Integrationsschwierigkeiten des 1945 erzwungenen Mecklenburg-Vorpommern hatten schon seinerzeit Überlegungen bei der Landesverwaltung veranlasst, einen „Bevollmächtigten“ für Vorpommern zu installieren. Der Ertrag wurde seinerzeit angezweifelt, die Idee verworfen.
Vorpommern steht auch im Hintergrund einer doppelten Rezeptionsgeschichte. Im Mittelpunkt steht das im Landesarchiv Greifswald verwahrte Archivgut. Matthias Manke liefert hier eine engagierte Würdigung des nicht begangenen 70-jährigen Jubiläums eines aus der Not geborenen Provisoriums. Die Geschichte der Rettung eines Teils der archivischen Überlieferung Pommerns aus den Wirren von Krieg und Nachkrieg sieht ihrem Ende entgegen. Die bisher zur Perspektive des Archivs geäußerten Überlegungen ordnet der Autor einer „aus gewisser Geschichtsferne gespeisten und mühelos zu verlängernden Reihe historischer Unbekümmertheiten der Landespolitik“ zu.
Einen anderen Entwicklungsstrang Vorpommerns beleuchtet Martin Albrecht am Torgelower Beispiel. Vorpommern hatte in den 1930er Jahren teil an einem Modernisierungsschub durch Aufrüstung. Anknüpfend an Keimzellen von Industrie entwickelte sich Torgelow zu einem Zentrum der Munitionsproduktion für die deutsche Kriegsmaschine. Martin Albrecht umreist den Auf- und Abbau der Rüstungsbetriebe in Torgelow von der Mitte der 1930er Jahre bis in die Nachkriegszeit. Was bleibt, ist – neben den Überresten – das 1946 rückwirkend zum 1. Juni 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht dekretierte Stadtrecht für Torgelow. Auch so wird Rezeption beeinflusst.
2017 wird sich die russische Oktoberrevolution zum 100. Mal jähren. Am Beispiel des Lenin-Denkmals in Schwerin liefert Andreas Röpcke einen interessanten rezeptionsgeschichtlichen Beitrag, wobei ihn besonders der teilweise skurrile Umgang von Verwaltung, Bevölkerung und Künstler mit dem Thema und dem Objekt Denkmal interessieren.
Auch der Aufsatz von Peter Danker-Carstensen über das Rostocker Schifffahrtsmuseum steht in Beziehung zu einer hochemotional geführten Diskussion – über den Umgang mit Kultur und Museen. Hier ist das Verständnis von Rostock als Großstadt und regionales Zentrum mit langer maritimer Tradition berührt, das mit individueller Lebensgeschichte verbunden wird. Dazu gehörte die Intention, Rostock als wirtschaftliches Zentrum der DDR inszenieren zu helfen. Wie in der DDR-Zeit stehen die Ambitionen zur Entwicklung des Museums heute in keinem Verhältnis zu den vorhandenen Möglichkeiten der Hansestadt Rostock.
Die Inszenierung von Sozialismus zerbrach nicht zuletzt an moralischer Diskreditierung. Die Entlarvung der DDR als Beteiligte am internationalen Waffenhandel infolge der Offenbarung des Waffenlagers bei Kavelstorf in der Nähe von Rostock Anfang Dezember 1989 war ein Beitrag zur Delegitimierung des politischen Systems der DDR. Die IMES GmbH war seinerzeit in aller Munde. Der bereits seit den 1960er Jahren bestehende Ingenieurtechnische Außenhandel (ITA) war hingegen kein Thema. Wolfgang Klietz zeichnet ein Bild dieses eher unbekannten Waffenhändlers der DDR. Er leistet hier einen Beitrag zur Rezeption der DDR als Rüstungsstandort und Teil des internationalen Waffengeschäfts.
Kaum ein Aspekt hat die DDR stärker in Misskredit gebrachtals das Grenzregime mit seinen tödlichen Folgen. Nach dessen Ende entstand in den 1990er Jahren entlang des „Grünen Bandes“ eine Reihe von Erinnerungsstätten. In Mecklenburg-Vorpommern konnte sich in den letzten Jahren das „Grenzhus“ in Schlagsdorf weiter profilieren. Nun soll die Bildungs- und Erinnerungsarbeit vor Ort durch umfangreiche Investitionen, insbesondere in die Ausstellung, auf eine neue qualitative Stufe gehoben werden, wovon Andreas Wagner berichtet. Eine besondere Bedeutung für die Rezeptionsgeschichte des Themas DDR-Grenzregime hat das Grenzhus in Schlagsdorf schon heute.
So abschreckend das Grenzregime der DDR auch war, es war nicht undurchlässig. Neben den Besuchsreisen aus dem Westen gab es zwischen 1949 und 1989 auch eine Rück- und Zuwanderung in der Größenordnung von ca. einer halben Million Menschen in die DDR. Dies behandelt die von Henrik Bispinck vorgestellte Ausstellung „Wechselseitig“ der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde.
Wie leider fast immer kann der Dank an die Autoren der Rezensionen und Annotationen wieder nur summarisch erfolgen. Wir freuen uns, dass immer wieder neue Interessenten für diese Rubrik den Weg zu uns finden.
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