Zeitgeschichte regional | 17. Jg., 2013, Heft 2

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Beschreibung

In diesem Heft sticht unter den Aufsätzen ein Beitrag hervor. In seinem seitenstarken und umfangreich bebilderten Text behandelt Thomas Werner die Entwicklung der Berufsfotografie in Rostock vor allem am Beispiel eines Ateliers. Während Volker Janke in früheren Ausgaben von „Zeitgeschichte regional“ auf quellenkritische Anforderungen beim Umgang mit historischem Fotomaterial eingegangen ist, nähert sich Werner diesem Aspekt von der fotografiegeschichtlichen Seite, indem er die Fotografen, ihre Ateliers als Wirtschaftsunternehmen sowie den Wandel von Technik und Produkten vorstellt. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, um den Charakter und Wert von Bildern aus Quellen angemessen bewerten zu können. Die Auseinandersetzung mit der Quellengattung zeitgeschichtliches Bildmaterial sollte auch an dieser Stelle weitergeführt werden.

Dieses Heft hat einen deutlichen mecklenburgischen Schwerpunkt. Jeder der folgend genannten Autoren bezieht sich auf dieses Territorium. Hermann Langer hat einmal mehr sein Wissen und seine Quellenkenntnis eingesetzt, um für uns die Geschichte des Reichsarbeitsdienstes in Mecklenburg zu skizzieren – nicht ohne ein engagiertes Plädoyer, diesen unkritisch als Vorbild für die Gegenwart zu nutzen. Eine andere Facette mecklenburgischer NS-Geschichte schildert Andreas Röpcke unter Hinzuziehung von Akten des Landeskirchlichen Archivs der vormals Evangelisch-lutherischen Landeskirche Mecklenburgs: die Hochzeit Josef Goebbels‘ in Severin 1931. Jene Akten erzählen eine Geschichte hinter dem Rührstück über die Königin im Herzen von Goebbels und den vor Ergriffenheit weinenden Hitler, nämlich die Auseinandersetzung um eine Hakenkreuzfahne auf dem Traualtar. Schlaglichtartig scheinen darin bereits Momente des späteren „Kirchenkampfes“ auf. Vom Kampf um die Stellung der evangelischen Kirche in der Gesellschaft, in der die SED-Führung die politische Macht beanspruchte, berichten die Aufsätze von Christian Halbrock und Rainer Hering. Während es 1953, als der Jugenddiakon Herbert Büdke in Wismar verhaftet und in einem Schauprozess in Rostock verurteilt wurde, worüber Halbrock berichtet, noch um die Durchsetzung des Machtmonopols der SED, hier insbesondere um den Einfluss auf die Jugend, im Land ging, zeichnet Rainer Hering in seinem dem früheren mecklenburgischen Landesbischof Heinrich Rathke zum 85. Geburtstag gewidmeten Aufsatz das Bild von einer DDR am Scheideweg. Der Besuch Helmut Schmidts 1981 in Güstrow und dem Güstrower Dom stand bzw. steht symbolisch für eine Entwicklung, in der u.a. die mecklenburgische Landeskirche Mittler für eine Zukunftssuche jenseits der Grenzen des kleinen Landes wurde. Diese Geschichte ist auch Ausdruck dafür, dass beide deutsche Staaten Zeit ihrer parallelen Existenz aufeinander bezogen blieben, und zeigt, wie die politischen Akteure auf die jeweils andere Seite Einfluss zu nehmen versuchten. Die DDR-Seite war bei der Durchdringung der bundesrepublikanischen Gesellschaft auch durchaus erfolgreich und versuchte dabei auch Wege jenseits politischer Klischees zu gehen. Georg Herbstritt beschreibt hier den – letztlich gescheiterten – Versuch in den 1950er Jahren, den Bundestagsabgeordneten Otto Wittenburg über einen Kontaktmann in Schwerin unter Ausnutzung beider persönlicher Beziehung für eine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit zu werben. Beziehungen und Lebenserfahrungen prägen Lebenswege wesentlich mit. Der Weg des Wismarers Harry Weltzin endete 1983 am Grenzzaun. Stefan Appelius skizziert die tragisch endende Lebensgeschichte eines jungen Mannes, der durch die tödliche Grenze keine Chance hatte, für seine Individualität Erfüllung im anderen Teil der Welt zu finden.

Menschliche Befindlichkeiten, „Identitäten“, also die Frage, worin sich Menschen wiederfinden und woran sie sich festhalten, wenn die Welt um sie herum im ständigen Wandel begriffen ist – konkret die Frage, was des Mecklenburg-Vorpommern Vaterland ist, treibt Matthias Manke um und dazu, seine Ansicht zur Diskussion zu stellen: Wie definieren sich Menschen in einem „Bindestrich-Bundesland“? Geschichte spielt dabei – bewusst oder unbewusst – immer eine Rolle. Volker Janke ruft mit seiner Dokumentation des Buches „Die Namen der Kämpfer im Gau Mecklenburg-Lübeck“ die Geschichte des NSDAP-„Gaues“ von dessen Höhepunkt betrachtet in Erinnerung. Jedoch soll dessen Darstellung eher zur Identifizierung mit Alternativen anregen helfen, wie auch die hier regelmäßig referierte regionale Geschichtsarbeit den Anspruch hat, im besten Sinne aufklärerisch zu wirken – sei es durch Auseinandersetzung mit historischen Gegenständen im Sinne der Berichte von Uwe Kiel über eine Tagung „Zwangsarbeit in Pommern von 1939 bis 1950. Sachstand und Perspektiven der Forschung und der historischen Bildungsarbeit in Deutschland und Polen“ am 29./30. November 2012 in Greifswald und von Matthias Tuve zur Geschichte der Greifswalder Stolpersteine oder durch Arbeit zur Verankerung demokratischer Kultur in unserer Gegenwart, wie sie Ingmar Dette für Anklam vorstellt. Einer, der exemplarisch für die ständige Suche nach Identifizierungsmöglichkeiten steht und auf diesem Gebiet Bleibendes geleistet hat, ist – zumindest durch seinen Nachlass – in die Heimatregion zurückgekehrt: Uwe Johnson. Andre Kischel stellt Rostock als das neue Zentrum der Uwe-Johnson-Forschung vor.

Dass Mecklenburg-Vorpommern immer auch Teil der großen Welt ist, daran soll unsere Rubrik „Aus anderen Ländern“ erinnern. Mit Simone Labs‘ Fortsetzungsreportage „Kalter Krieg im Baltikum – Erlebnisbericht einer Partnerschaft“, hier mit Teil II, einem Projektbericht aus Borne Sulinowo in Polen, bleiben wir international.

Einen besonderen Hinweis verdienen die 18 Besprechungen von neu erschienener Literatur. So viele hatten wir noch nie. Dank an die fleißigen Autoren! Der Strom von Neuerscheinungen und damit auch der Stoff für viele weitere Rezensionen reißen nicht ab, wie die letzten Seiten zeigen.

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