Zeitgeschichte regional | 14. Jg., 2010, Heft 1

8,00 

Beschreibung

Das Jahr 2009 war das Jahr der „Jahrestage“ des Uwe Johnson. Landauf, landab wurde an seine Person, ihre Geschichte und seine Werke anlässlich seines 75. Geburtstages, den er, der 25 Jahre zuvor aus dem Leben geschieden war, nicht mehr erlebte, lesend und analysierend erinnert. Die persönlichen „Jahrestage“ des großen Analytikers der Zeitgeschichte des Landes, „wo [er] in Wahrheit hingehör[t]e“, waren für die Redaktion Anstoß, die häufig an eben jenen „Jahrestagen“ erkennbar werdende Rezeptionsgeschichte von Persönlichkeiten und ihren Werken in den Blick zu nehmen. In Bezug auf Uwe Johnson wird in dieser Ausgabe von „Zeitgeschichte regional“ Gundula Engelhard den Umgang der Mecklenburgischen Literaturgesellschaft mit dieser Person der Zeitgeschichte seit 1990 behandeln. Dieser Gesichtspunkt historiografischer Reflektion wird uns durch dieses Heft und soll uns in zukünftigen Ausgaben begleiten. Hier berichtet Eckhard Oberdörfer als „teilnehmender Beobachter“ über die weit über Greifswald hinausgreifende Debatte um den Namenspatron Ernst Moritz Arndt und „seine“ Universität. Oberdörfers Resümee lässt offen, ob mit der politischen Entscheidung die inhaltliche Befassung mit dem Patron eine neue Qualität erreicht. Die Greifswalder Universität hat ihr 550jähriges Jubiläum hinter, die akademische „Leuchte des Nordens“ in Rostock die Feier ihres 600jährigen Bestehens im Jahre 2019 vor sich. Für universitätsgeschichtliche Darstellungen gibt es rühmliche und weniger rühmliche Vorbilder. Grund genug, sich mit der Frage „Wie schreibt man Universitätsgeschichte?“ auseinanderzusetzen. Gisela Boeck, Christian Dahlke und Hans-Uwe Lammel berichten über einen Workshop in Rostock, der am 30. Januar 2010 fast in der „weißen Pracht‘ versank.

Die Geschichte hat im Nordosten der Bundesrepublik Deutschland die Bodenreform zu einem herausgehobenen Erinnerungsort werden lassen. Die Auseinandersetzungen um das Für und Wider und die konkrete Umsetzung reichen weit vor unseren Betrachtungszeitraum zurück und beschäftigen uns bis in die Gegenwart. Matthias Manke versucht eine Analyse der in einer Bodenreform-Debatte des Landtages Mecklenburg-Vorpommern am 19. November 2009 vertretenen Positionen. Eine weitere historische Konstante der Geschichte dieses Landstrichs scheint ein negativer Bevölkerungssaldo durch Abwanderung zu sein. Den relativ kurzen Abschnitten massiven Zuzugs in der Folge politisch gesetzter Rahmenbedingungen wie im Hochmittelalter, der nationalsozialistischen Aufrüstungspolitik oder der durch Flucht und Vertreibung von jenseits der Oder erzwungenen Bevölkerungsverdichtung folgten länger anhaltende Abwanderungsbestrebungen, denen die jeweiligen Herrschaftsregime administrative, gewaltsame Grenzen zu setzen versuchten. Die sogenannte „zweite Leibeigenschaft“ oder der „Todesstreifen“ sind weitere wichtige Erinnerungsorte in diesem Land. Im Verlautbarungsdeutsch der DDR
wurde die sich der Administration widersetzende Abwanderungsbewegung zur „Republikflucht“, die umso schwerer wog, wenn mühsam ausgebildete oder schwer zu ersetzende Fachleute das Land zu verlassen suchten. Lehrer gehören – übrigens bis heute – dazu. Henrik Bispinck hat in einem Aufsatz die Oberschullehrer aus Mecklenburg im ersten Jahrzehnt der DDR in den Blick genommen.

An anderer Stelle ist in „Zeitgeschichte regional“ die Geschichte des Naturschutzes in Mecklenburg erörtert worden. In dieser Ausgabe beleuchtet Hermann Behrens nun die Entwicklung in Pommern und das Wirken der Naturschutz-Protagonisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Zeit brachte auch auf anderen Gebieten eine beschleunigte Entfaltung wissenschaftlicher Erkenntnis und ihrer Institutionalisierung. Die moderne Orthopädie ist so ein Kind des vorigen Jahrhunderts, für das in Mecklenburg wohl Rostock als Geburtsort gelten kann. Paul Heller erörtert, welchen Einflüssen das Fach Orthopädie während der nationalsozialistischen Herrschaft in Mecklenburg ausgesetzt war. Nationalsozialismus wurde besonders im letzten Jahrzehnt im Zusammenhang mit Zwangsarbeit in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges erörtert. Die Berichte von Bernd Kasten und Sebastian Ludwig über Artikel zu Zwangsarbeitern im „Niederdeutschen Beobachter“ zwischen 1939 und 1945 sowie vom Leiter des Neubrandenburger Regionalmuseums, Rolf Voß, über ein Schülerprojekt zu Albert Bockstael, einem belgischen Künstler in deutscher Kriegsgefangenschaft, liefern weitere Details. Erfreut vermelden wir die Bewegung um den Erinnerungsort Prora. Die Beiträge von Andreas Wagner über einen Workshop zum Aufbau einer Bildungsstätte in der zukünftigen Jugendherberge Prora und von Rüdiger Wenzke, dessen dort gehaltenes Referat über die Bedeutung des Militärstandortes Prora für die Auseinandersetzung mit der DDR-Militärgeschichte hier abgedruckt werden kann, knüpfen an die bisherige Berichterstattung von „Zeitgeschichte regional“ zu diesem Thema an.

In der Fülle der Berichte über wichtige Projekte darf der Text des Leiters der Jugendbildungs- und Begegnungsstätte Golm des Volksbundes für Kriegsgräberfürsorge Nils Köhler über das Drama von Alt Teterin im Frühjahr 1945 nicht nur nicht untergehen, sondern verdient die Empfehlung besonderer Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser. Aus Vorpommern ist auch der Lebensbericht von Renate Freiberg, die auf Rügen aufgewachsen Ernst Moritz Arndt an die Greifswalder Universität folgte und dort ,,Abbruch und Aufbruch“ erlebte.

Aus anderen Bundesländern ist diesmal Christine Brecht aus Berlin zu Gast, die den Verein Grenzläufte e.V. vorstellt, der „Mauergeschichte“ an lokalen Beispielen, konkret Grenzspuren am Flutgraben zwischen Treptow und Kreuzberg, erlebbar macht.

Selbstverständlich erwarten Sie auch in dieser Ausgabe Rezensionen
und Hinweise zu Neuerscheinungen.

Ihre Redaktion