Zeitgeschichte regional | 12. Jg., 2008, Heft 1

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Beschreibung

Das Epoche-Jahr 1918 kommt – 90 Jahre später – kaum in der öffentlichen Wahrnehmung vor. Einer der wenigen Erinnerungsorte ist zurzeit die Landeshauptstadt Schwerin, wo eine sehr materialreiche Ausstellung „Mecklenburg und der Erste Weltkrieg“ zu sehen ist. Erwähnt sei dies, weil das aktuelle Heft von „Zeitgeschichte regional“ sich vornehmlich militärischen Aspekten der Landesgeschichte im 20. Jahrhundert widmet. Nahezu alle Texte dieser Ausgabe bewegen sich – wie für das 20. Jahrhundert kaum anders zu er warten – in der Spannung von (mehr) Krieg und (weniger) Frieden. Der erste und längste Beitrag, der wegen seines Umfangs auf diese und die kommende Ausgabe von „Zeitgeschichte regional“ verteilt werden muss, entspricht dieser Beschreibung in besonderer Weise. Marcus Herrberger und Falk Bersch schildern hier mit Blick auf militärgerichtliche Verfolgung religiöser Kriegsdienstverweigerer in Mecklenburg und Pommern vom Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges neben einem Stück Geschichte der Kriegsdienstverweigerung in Deutschland vor allem Lebenswege zwischen menschlicher Kraft und – vorsichtig ausgedrückt – schuldhafter Verstrickung, denn es waren Menschen, die Lebenswege von Kriegsdienstverweigerern zu Schicksalen werden ließen. Militär war spätestens seit den 1930er Jahren in Mecklenburg und Pommern durch einen auf Rüstung unter Einsatz modernster Technologien beruhenden industriellen Aufschwung mit Fliegerei verbunden und in dieser Form vielfach positiv besetzt. „Das deutsche Volk […] ein Volk von Fliegern […]“ war Propaganda wie „Kraft durch Freude“ oder „Volkswagen“, aber es war auch die – so oft angenommene – Einladung, sich der Faszination von Modernität und Fortschritt sowie einer Illusion von „Volksgemeinschaft“ hinzugeben. Angesichts der Erfahrungen der Bombentage und -nächte hätte jeder und je dem Deutschen klar werden müssen, warum sie Teil eines Volkes von Fliegern hatten werden sollen. Hermann Langer erzählt die Geschichte der Luftwaffenpropaganda an Spielfilmbeispielen der Jahre 1938-1944. Vorbereitung und Verlauf des Zweiten Weltkrieges haben in vielen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns ihre Spuren hinterlassen. Neubrandenburg „profitierte“ als in den 1930er Jahren ausgebauter Rüstungs- und Militärstandort und musste 1945 einen unvergleichlich höheren Preis zahlen. Die von Oliver Zimmermann skizzierte kurze Geschichte der Torpedo-Versuchs-Anstalt Neubrandenburg der deutschen Kriegsmarine endet mit dem Untergang des alten Neubrandenburg, kurz vor der bedingungslosen deutschen Gesamtkapitulation. Auch das Gesicht der Stadt Barth wurde durch das nationalsozialistische Regime und seinen Krieg verändert. Martin Albrecht beschreibt die Besonderheiten des Stalag Luft I, Kriegsgefangenenlager für alliierte Piloten bei Barth, v.a. die spektakuläre Geschichte der Auflösung dieses Gefangenenlagers nach Kriegsende. Geschichte wird von Menschen gemacht und erlitten. Wolfram Rothe beschreibt diese Dualität am Beispiel Helmuth Brückners, der als ehemaliger NSDAP-Gauleiter Schlesiens bis 1934 einen rasanten Aufstieg erlebt hatte, dann, aller seiner Ämter enthoben, zunächst in Neustrelitz, später in Rostock Wohnsitz nahm und dort über eine Beschäftigung bei den Ernst-Heinkel-Flugzeugwerken sich wie der zu integrieren suchte. Das Jahr 1945 wurde für ihn zur lebensentscheidenden Zäsur: Verhaftung, Internierung im Lager Fünfeichen, Deportation in die Sowjetunion, Tod im Lager. Die gleiche Zeit, einen anderen Lebensweg beschreibt Thomas Bausch. Er bietet mit seiner biografischen Skizze über Viktor Bausch (Papierfabrik Neu Kaliß) gleichzeitig einen kleinen Ausschnitt der jüngeren Bausch’schen Familiengeschichte und eine Hommage an eine Persönlichkeit, die sich im Widerstand gegen die NS-Herrschaft bewährte, nach dem Krieg, als von der sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzter Bürgermeister von Neu Kaliß, in seinem Betrieb trotz Demontage Tatkraft im Sinne seiner Vorstellungen von sozialer Demokratie für den Wiederaufbau bewies und nach Flucht aus der gerade ausgerufenen DDR die Kraft für einen nochmaligen Neuanfang fand. Wolfgang Stemmer ergänzt das biografische Bild des Greifswalder Mediziners und nachmaligen Universitätsrektors Gerhardt Katsch um Facetten, die sich aus von diesem verfassten Berichten über seinen Einsatz als „Beratender Internist“ in der besetzten Ukraine 1943 sowie der Teilnahme an den „Arbeitstagungen Ost“ der Beratenden Ärzte in Berlin ergeben, die jüngst im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg i.Br. gefunden wurden. Die Jahre des Zweiten Weltkrieges bilden den Rahmen für die Darstellung von Katharina Kühne-Schnittler, die gewissermaßen die Vorgeschichte der Kirchenmusik an der Universität Greifswald mit ihrem Bericht über das Seminar für evangelische Kirchenmusik in Stettin-Kückenmühle und Finkenwalde erzählt und darauf verweist, dass beide durch die Geschichte der mittlerweile 90jährigen Annelise Pflugbeil verbunden sind. Greifswald ist auch der Ort des darauf folgenden Beitrages über ein 1951 früh errichtetes – vielleicht das älteste in der DDR – Friedensmahnmal, das sein Entstehen nicht zentraler politischer Oktroyierung durch die SED, sondern der Initiative von Reichsbahnern verdankte. Eckhard Oberdörfer beschreibt deren Wirken als weitgehend freiwilliges Engagement, das allerdings letztlich auch der „Zentralisierung“ unterworfen wurde. Angeregt durch den Beitrag von Wolf Karge im letzten Heft von „Zeitgeschichte regional“ äußert Hermann Grothe – Erinnerungen an seine Jugend in Malchow befragend – Zweifel daran, ob das von Wilhelm Wandschneider nach dem Ersten Weltkrieg geschaffene Kriegerdenkmal in Malchow trotz des von ihm (1919) verwendeten Hakenkreuzes eindeutig zu interpretieren sei, will es und seine Geschichte in Erinnerung gerufen wissen und stellt die Frage, ob Wandschneider auf dieses Hakenkreuz und antijüdische Gesinnung – angesichts seines Stavenhagener Reuter-Denkmals, des Teterower Hechtes – zu reduzieren sei. Die Diskussion sei hiermit eröffnet. Platz für eine diese Fragen beleuchtende biographische Skizze über Wilhelm Wandschneider aus Plau am See bieten die Seiten von „Zeitgeschichte regional“ allemal. Wenn Sie dieses Heft in den Händen halten, wird für die meisten Leser der Sommer 2008 bereits (Zeit-)Geschichte sein, die Redaktion wird sich zur Bewertung dieser und zur Vorbereitung der nächsten Ausgabe von „Zeitgeschichte regional“ getroffen haben, und für die Herausgeberin beginnt aufs Neue das Einwerben von finanzieller Unterstützung für einen Jahrgang 2009 dieser Zeitschrift. Sollten Sie Themen umtreiben, die Sie immer schon behandelt gesehen haben wollten, empfehlen wir uns als ein interessiertes Gremium.

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