Zeitgeschichte regional | 11. Jg., 2007, Heft 2

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Beschreibung

Kultur zwischen künstlerischer Betätigung und symbolischer Handlung, die für den Alltag Bedeutung hat, ist die thematische Klammer dieser Ausgabe. Vielfach wird kulturelles Entwicklungsniveau mit dem Umfang und der Qualität von Theaterangeboten identifiziert. Obwohl Theater mitnichten die Kultur einer Gesellschaft in ihrer Breite abzubilden vermag, gibt es Anhaltspunkte dafür, dass seine Situation mit gesellschaftlichen Entwicklungen korrespondiert. In diesem Sinn beschreiben Antje Strahl und Werner Stockfisch kulturelle Entwicklung in Mecklenburg-Schwerin mit dem Fokus auf Theatergeschichte. Antje Strahl verfolgt Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf Institutionen der bürgerlichen Kultur, wobei sie Theater, insbesondere das Schweriner Hoftheater, in einer doppelten, zunehmenden Stresssituation beschreibt: in Konkurrenz mit einer Vielfalt von Kleinkunst, Varieté und Lichtspielhäusern sowie in kriegsbedingter Mangelrestriktion. Werner Stockfisch und seine Mitautoren fragen nach den Auswirkungen des Nationalsozialismus auf den Betrieb des Mecklenburgischen Staatstheaters.
Der ideologisch als Gegenprivilegierung fixierte Anspruch in den ambitionierten ersten Jahren der DDR hat in Mecklenburg-Vorpommern Spuren hinterlassen. Eine davon ist das für das ländliche Umfeld überdimensioniert wirkende Kulturhaus im vorpommerschen Murchin. Michael Lissok analysiert die architekturgeschichtlichen Zusammenhänge seiner Entstehung im Kontext herrschender kulturpolitischer Vorstellungen der 1950er Jahre. Das Kulturhaus als architektonischer Ausdruck politischer Ansprüche fand seine Entsprechung in einer durch Veranstaltungen geprägten Repräsentationskultur. Lu Seegers untersucht die fast über zwei Dekaden durchgeführte „Rostocker Ostseewoche“ unter diesem Blickwinkel. Sie beschreibt, wie diese eng mit der Außenpolitik verbundene Veranstaltung für die Stadt und den Bezirk Rostock Ressourcen und Möglichkeiten erschloss und – zumal in der Retrospektive – auch von der Bevölkerung als Zugewinn erlebt wurde. Eine in der DDR gewollte, geförderte und kontrollierte Form, künstlerische, kulturelle Betätigung anzuregen, zu entwickeln und zu steuern, waren Volkskunstzirkel. Mit seinen Erinnerungen an Ruth Holst porträtiert Wolfgang Jacobeit eine tragende Persönlichkeit für einen solchen Zirkel im Kreis Grimmen. Künstler und ihre Kunst sind – wie jeder Mensch und sein Tun – nicht ohne Reflektion ihrer gesellschaftlichen Gebundenheit zu verstehen. Diese Binsenweisheit ist bis heute bisweilen heiß umstritten, umso mehr, wenn die eigene Lebenszeit berührt ist und überdies noch Fragen nach Verantwortungsbewusstsein gestellt werden. Detlef Witt versucht, in dieser Spannung mit seiner biografischen Skizze dem pommerschen Restaurator und Bildschnitzer Max Uecker in sachlicher
Form gerecht zu werden. Eher polemisch knüpft Mathias Rautenberg an den Bericht Bernd Kastens über die Schweriner Arno-Breker-Ausstellung (2006) an. Auf Grundlage einer im Frühjahr 2007 erschienenen Dokumentation kritisiert er die Diskussion um Breker und die Ausstellung, bei der er Aspekte von gesellschaftlicher Gebundenheit und Verantwortung weitgehend ausgeblendet sieht.
Der Wechselbeziehung von Geschichtsschreibung, Politik und Erinnerungskultur, der sich „Zeitgeschichte regional“ von jeher widmet, wird auch diesmal breiter Raum gegeben. Regimewechsel lösen Reflexe aus, die bis dahin in Gunst stehenden Erinnerungen und mit ihnen verbundene Zeichen auszulöschen oder wenigstens umzuformen. Wolf Karge skizziert in seinem Beitrag den Prozess, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg Denkmale aus dem öffentlichen Raum verschwanden, denen nationalsozialistische, militaristische und revanchistische Aussagen zugeschrieben worden waren. Dass Geschichte damit nicht vergeht, zeigte einmal mehr die Debatte um Hitlers Ehrenbürgerschaft in Bad Doberan im Vorfeld des „G-8-Gipfels“ in Heiligendamm. Hermann Langer widmet sich dem „Schatten“, der die mediale Vorbereitung des politischen Großereignisses zu verdunkeln drohte.
Eine wichtige Seite von Erinnerungskultur ist die Würdigung und Bewahrung von Geschichte(n) und historischer Leistung. Kai Agthe stellt zwei Beispiele aus beiden Enden Mecklenburg-Vorpommerns vor: die Präsentation der Nachlässe von Hans-Werner Richter und Carola Stern in Bansin auf Usedom sowie das Uwe-Johnson-Literaturhaus in Klütz. Zudem lässt er im Interview den Germanisten Gunnar Müller-Waldeck über die Beziehung zwischen Wolfgang Köppen und seiner „Mutterstadt“ Greifswald reflektieren.
Erinnerungskultur charakterisiert zudem, welche Aspekte von Geschichte warum, wie, wann und wo Aufmerksamkeit erfahren. Parallel mit der Stiftungsinitiative „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ erfuhr das Interesse an der Geschichte von Zwangsarbeit in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges deutlichen Auftrieb. Zu den regionalen Initiativen, die sich hierzu professionell und mit Ausdauer engagierten, gehört eine Projektgruppe im Amt Niepars, Kreis Nordvorpommern, um Petra Clemens. Sprichwörtliche Stolpersteine haben inzwischen auch in Mecklenburg-Vorpommern beachtliche Verbreitung gefunden. Christine Kindt und Sabine Klemm erzählen von einem Schweriner Projekt, mit dem an frühere jüdische Bewohner erinnert werden soll. Über 30 Schweriner Lebensgeschichten und Schicksale kann man mittlerweile stolpern. In einem eigenen Beitrag berichten Bernhard Rosenkranz und Ulf Bollmann aus Hamburg, dass bundesweit mehr als 100 Stolpersteine an Menschen erinnern, die als Homosexuelle dem nationalsozialistischen Regime zum Opfer gefallen sind.
Der begrenzte Raum des Heftes erlaubt leider wieder nur, einen kleinen Ausschnitt der regionalen Geschichtsarbeit abzubilden. Hugo Rübesamens Artikel über eine Tagung des Historischen Instituts der Universität Rostock zum „mittelmäßigen Jahr 1957“ in der DDR und Beatrice Vierneisels Schilderung der Gedenkfeier zur Befreiung des Lagers Wöbbelin vor 62 Jahren von verweisen angesichts des Alters teilnehmender Zeitzeugen auf einen bevorstehenden Umbruch in der zeitgeschichtlichen Forschung und Erinnerung. Schon verraten werden kann jedoch, welche Themen „Zeitgeschichte regional“ demnächst behandeln wird. 2008 stehen Militärgeschichte sowie Umwelt- und Naturschutz im Mittelpunkt. Für 2009 ist neben einer Sportretrospektive ein der Jahreszahl angemessener Blick auf die DDR-Geschichte geplant.
Wir hoffen wie stets, Sie auf die Lektüre neugierig gemacht und zur Debatte eingeladen zu haben.

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