Zeitgeschichte regional | 11. Jg., 2007, Heft 1

8,00 

Beschreibung

Die im Schatten vermeintlich Größerer Stehenden sind häufig bemüht, Indizien und Argumente zur Betonung der eigenen Besonderheit – im Guten wie im Bösen – zu finden, um auf sich aufmerksam zu machen. Ein Sommer in diesem Landstrich südlich der Ostsee mit seinen glazialen Prägungen scheint dem in der Regel förderlich zu sein. „Zeitgeschichte regional“ hat in den vergangenen zehn Jahren das eine oder andere Exempel dafür dokumentiert und findet auch mit dieser Ausgabe wieder Bezugspunkte zu – keineswegs nur romantisch verklärenden – Sommergeschichten aus Mecklenburg-Vorpommern. Sommer, Tourismus, Mecklenburg-Vorpommern prägen als positiv besetzte Synonyme Hochglanzbroschüren über dieses Land. Idealisierungen dieser Art sind ohne Retuschen nicht zu haben. Die heilen Welten des „ersten deutschen Seebades“ Heiligendamm wie der neuerdings „Kaiserbäder“ genannten Badeorte auf der Insel Usedom waren bzw. sind ohne den Ausschluss und die Ausblendung störender Momente nicht zu haben. Frank Bajohr aus Hamburg beschäftigt sich seit Jahren mit einem Phänomen dieser Art an den deutschen Küsten, dem „Bäder-Antisemitismus“. In dieser Ausgabe skizziert er dessen Entwicklungen und Ausprägungen in den Badeorten an der Ostseeküste als einen Aspekt historischer bürgerlicher Lebenswelt. En passant konstatiert er den Gegensatz zwischen der Bedeutung des Tourismus’ für dieses Land und dem Fehlen einer fundierten Sozial- und Kulturgeschichte über ihn in Mecklenburg-Vorpommern.
Die Ostsee war neben ihrer wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Bedeutung als Grenz- und Verkehrsgebiet immer auch ein Politikum, zumal unter den Bedingungen des Kalten Krieges. Christian Halbrock aus Berlin und Alexander Muschik aus Ahrensburg untersuchen die Einflussnahmen zwischen Rostocker Ostseewoche und Kieler Woche, die aus der Ostsee „ein Meer des Friedens“ nach jeweils eigenem Verständnis machen sollten. Frieden, selbst „kalter“ Krieg waren auf’s Ganze gesehen eher selten in diesem Land. Umso mehr Besonderheiten hiesiger Landesgeschichte ergaben sich aus kriegerischen oder militärischen Zusammenhängen. Giftgas-Kampfstoff-Erprobungen an der Müritz dokumentiert Hans-Joachim Deppe aus Berlin. Eine markante Geschichte über Erfindungen, Lizenzen und deren Nutzung im Krieg erzählt Martin Albrecht aus Berlin am Beispiel der in den Ernst-Heinkel-Werken Rostock zur Serien- und Lizenzreife entwickelten „Sprengniete“ als Weiterentwicklung herkömmlicher Nietverfahren für die Bedürfnisse des Metallflugzeugbaus und wie sie sich in Bilanzen und Konten niederschlug. Die Übergabe der Stadt Greifswald an die Rote Armee am 30. April 1945 kann – trotz Instrumentalisierungen – eine besondere historische und moralische Bedeutung beanspruchen. Dies wird umso deutlicher, je mehr das Bild dieses Ereignisses von der Schlacke ideologischer Überformungen und politischer Inanspruchnahmen befreit wird. Die Beiträge des Greifswalder Stadtarchivars Uwe Kiel, der die Geschichte von Buch und Film „Gewissen in Aufruhr“ über die Rolle Oberst Petershagens aufzeichnet, und von Irmfried Garbe (Universität Greifswald) über bislang unveröffentlichte, in Greifswald 1945 entstandene Tagebuchtexte weisen in diese Richtung.
Ein ehemaliger Greifswalder, Wolfgang Wilhelmus, legt in diesem Heft die überarbeitete Fassung eines bereits 2006 anlässlich einer polnisch-deutschen Tagung in Stettin vor getragenen Forschungsberichtes über das deutschsprachige Schrifttum zur Geschichte der Juden in Pommern vor.
Der Aufsatz des Rostockers Horst Sieber über Ortskrankenkassen und Krankenhausbehandlung in Mecklenburg in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts kann gleichsam als Beginn der Parabel gelesen werden, an deren heutigem Ende die aktuellen Gesundheitsreformdebatten stehen.
In der Rubrik „Biographische Skizze“ zeichnet Solveig Simowitsch aus Bad Segeberg die Entwicklung des nachmaligen Landtagspräsidenten Carl Moltmann vom mecklenburgischen SPD-Funktionär zum Landesvorsitzenden der SED nach.
Hoffentlich weitere Diskussionen anregend – nicht zuletzt für das kommende, dem Thema Kulturpolitik gewidmeten Heft – liefert der Schweriner Stadtarchivar Bernd Kasten als teilnehmender Beobachter einen Rückblick auf die genau vor einem Jahr in Schwerin begonnene Arno-Breker-Schau; eine weitere Sommergeschichte in Mecklenburg.
Wie angekündigt ist diese Ausgabe von „Zeitgeschichte regional“ ein besonderes Heft. Es ist das „Jubiläumsheft“, das ohne thematische Klammer auskommt – vor zehn Jahren erschien die erste Nummer der Zeitschrift. Als krönenden Abschluss der ersten zehn Jahrgänge legen wir Ihnen neben
der neuen, 21. Ausgabe von „Zeitgeschichte regional“ einen Index vor. Vor allem Irmfried Garbe sei an dieser Stelle für die Fleißarbeit gedankt.
Dank zu sagen ist an dieser Stelle auch den Unterstützern dieses Projektes: dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern, dem Amt für Kultur und Denkmalpflege der Hansestadt Rostock, „unserem“ Grafiker Marco Pahl, den Autorinnen und Autoren – und natürlich Ihnen, sehr geehrte Leserinnen und Leser, für Ihr Interesse. Wir sind jung und ehrgeizig genug, für dessen Anhalten auch im begonnenen zweiten Jahrzehnt der Zeitschrift sorgen zu wollen. In diesem Sinne empfehlen wir uns, auf dass Sie uns empfehlen.

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