Beschreibung
Mit Mecklenburg-Vorpommern wird gemeinhin eine reizvolle Landschaft assoziiert, deren Schönheiten umso stärker wirken, da sie durch vergleichsweise wenige Menschen gestört werden. Historische Gutsanlagen und die so genannte norddeutsche Backsteingotik runden diese landschaftlichen Reize ab – Gesichtspunkte, die für eine touristische Vermarktung interessant sind. Die Lebensrealität der hier wohnenden Menschen hingegen wird nicht zuletzt von profaneren architektonischen Schöpfungen geprägt. Die ländlichen und städtischen Siedlungen in Mecklenburg-Vorpommern haben im vergangenen Jahrhundert ihr Erscheinungsbild in großem Maße geändert. Krieg, seine Vorbereitung wie die Folgen waren wesentliche Katalysatoren dieses Wandels. Daneben kamen jedoch auch langfristiger wirkende soziokulturelle Faktoren zum Tragen. Diesen Einflüssen auf Architektur und Bauen im 20. Jahrhundert sowie den bis heute in Mecklenburg-Vorpommern zu besichtigenden Ergebnissen sind die Texte gewidmet, die den thematischen Rahmen für diese Ausgabe von „Zeitgeschichte regional“ bilden. Carsten Liesenberg und Michael Lissok widmen sich der ländlichen Siedlungsarchitektur, die in Mecklenburg zwischen der Wende zum 20. Jahrhundert und den 1950er Jahren entstanden ist. Beide Autoren zeigen den engen Bezug des ländlichen Bauens zu den Besiedlungskampagnen im Großherzogtum Mecklenburg, im Freistaat Mecklenburg der Weimarer Republik, im nationalsozialistischen Gau Mecklenburg wie im nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Land Mecklenburg und arbeiten dabei durch die unterschiedlichen politischen Regime allenfalls überformte Kontinuitätslinien heraus. Sabine Bock verfolgt die Geschichte des Gutes Klockow in Mecklenburg-Strelitz, insbesondere die komplizierte Entwicklung seiner Aufsiedlung und die Folgen für das dortige Gutshaus. Sie zeigt, dass mit dem Wegfall der Gutsherrschaft – in diesem Fall seit den 1930er Jahren – sein Gebrauchswert in Frage gestellt war. Diese wurde erst mit dem Krieg auf eine für Mecklenburg-Vorpommern typische Weise durch eine erzwungene kollektive Nutzung für Notunterkünfte, später dörfliches Gemeindezentrum bzw. Schule, für mehrere Jahrzehnte beantwortet. Am Beispiel der mecklenburgischen Kleinstadt Malchow zeigt Martin Albrecht, wie infolge beispielloser Aufrüstung besonders im Gebiet des heutigen Mecklenburg-Vorpommern quasi neue städtische Siedlungsstrukturen geschaffen wurden, die für Malchow mindestens eine Verdopplung der Bevölkerung in wenigen Jahren bedeutete. Das riesige Munitions- und Sprengstoffwerk im Malchower Wald, dessentwegen die „Neue Stadt“ in Malchow noch während des Krieges in Angriff genommen wurde, hat eine Konversion nicht mehr erlebt. Seine Ruinen werden mehr und mehr Teil des Waldes. Die Backsteinarchitektur der frühen 1940er Jahre hingegen prägt bis heute Teile des Malchower Stadtbildes. Eines der eindringlichsten Beispiele durch vermeintlich grenzenlose Machbarkeit und umfassenden Ressourceneinsatz korrumpierten Architektenelans und baulicher Gigantomanie behandelt Rainer Stommer. Der als so genanntes KdF-Seebad geplante Komplex in Prora vereint Maßlosigkeit, ermöglicht durch die Ausplünderung fremder Ressourcen, mit zeitgenössischer Modernität und zum Mythos geronnenem sozialem Anspruch, dessen instrumentellen Charakter Stommer eindringlich darstellt. Er geht ebenso auf die heutigen Schwierigkeiten des Umgangs mit diesem Ausdruck an Maßlosigkeit ein. Prora ist auch ein Anknüpfungspunkt im Aufsatz von Heinz-Peter Schmiedebach und Hans-Uwe Lammel, die ihm das so genannte NS-Musterdorf Alt Rehse gegen überstellen. Sie vertiefen den Ansatz Stommers, indem sie die Ideologie verdeutlichen, die auf die Nützlichkeit für den „Volkskörper“ zielte. Während Prora der Stärkung von Gesundheit und Nerven der „Volksgenossen“ dienen sollte, ging es in Alt Rehse darum, die medizinischen Funktionäre ideologisch dazu zu befähigen, aus der „Volksgemeinschaft“ Ausgeschlossene als „Schädlinge“ am „Volkskörper“ „auszumerzen“. Die oben erwähnte „gestaltende“ Kraft des Zweiten Weltkrieges hinterließ auch in vielen Städten des heutigen Mecklenburg-Vorpommerns „Baufreiheit“. Die Altstädte von Neubrandenburg und Rostock erscheinen auf frühen Nachkriegsfotos als weite planierte Flächen. Die Bemühungen und Schwierigkeiten, Neubrandenburg nach 1945 als Stadt neu entstehen zu lassen, untersucht Brigitte Raschke in ihrem Beitrag. Der letztlich entwickelte Planungsoptimismus sah in den 1960er Jahren aus der ehemaligen Ackerbürgerstadt ein großstädtisches Zentrum in einer durch und durch ländlich geprägten Region werden. Kai Berdermann beschreibt den Aufbau der Rostocker Südstadt in den 1960er Jahren als ein Modellprojekt sozialistischer Stadtplanung und sozialistischen Städtebaus. In seiner umfang reichen Studie schildert er, wie und in welchem Maße die ökonomischen Engpässe und der große Wohnungsmangel auf die Entwicklung von Architektur und Technologie Einfluss nahmen, wenngleich das industrielle Bauen mit Großelementen kein Ergebnis der DDR-Mangelgesellschaft war. Die DDR-Charakteristik zeigte sich vielmehr in der weitgehenden Reduktion des Wohnungsbaus auf diese Verfahrensweise und in der zunehmenden Verarmung der Architektur der Plattenbauten. Die neuen Stadtteile waren ursprünglich durchaus mit einigem Anspruch als „sozialistische Wohnkomplexe“ geplant. Kai Berdermann stellt in seinem Text die Planungen zur neuen Südstadt den schließlich realisierten Ergebnissen gegenüber. Dem Thema dieses Heftes ist auch ein Projektbericht von Frank Braun gewidmet, der ein an der Hochschule Wismar entstandenes digitales Informationssystem „Baustruktur Altstadt Wismar 2002“ als Quelle für Untersuchungen zur jüngeren Baugeschichte Wismars vorstellt. Mit einer biografischen Skizze umreißt Meik Woyke in diesem Heft die Lebensgeschichte von Albert Schulz, der – als Arbeiterkind in Rostock geboren – einer der wichtigsten jüngeren Sozialdemokraten in Rostock und Mecklenburg sowie nach dem Zweiten Weltkrieg Rostocks Oberbürgermeister wurde. Weitere Projektberichte sowie Rezensionen und Literaturanzeigen ergänzen diese Ausgabe.
Das Heft 1 des Jahrgangs 2007 soll unser Jubiläumsheft werden, das vieles und damit hoffentlich vielen etwas bringen wird, somit also nicht unter einem bestimmten Thema steht. Vor zehn Jahren, im Sommer 1997, haben wir den Versuch gewagt, eine Zeitschrift zu begründen. Das zweite Heft 2007 wird das Thema „Kulturpolitik“ beleuchten. Vorher wünscht Ihnen für das Jahr 2007 alles Gute und hofft auch zukünftig auf Ihre geneigte Aufmerksamkeit.
Ihre Redaktion