Zeitgeschichte regional | 09. Jg., 2005, Heft 1

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Beschreibung

60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die deutschen Medien nicht müde, den Krieg und dessen Folgen für die Welt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu analysieren. Politiker aller Parteien gaben Statements zu diesem wichtigen historischen Jahrestag ab. Bundeskanzler Gerhard Schröder formulierte in einem Grußwort für die Sonderbeilage der Mittelbayerischen Zeitung zum 60. Jahrestag des Kriegsendes: „Wir tragen Verantwortung vor unserer Geschichte und für unsere Geschichte. Nur wer sich erinnert und sich der Vergangenheit stellt, auch wenn er keine persönliche Schuld auf sich geladen hat, kann verantwortungsvoll mit der eigenen Geschichte umgehen.“ Wenngleich der politische Tenor der einzelnen Reden und Bekundungen der demokratischen Parteien auch heute noch sehr unterschiedlich ausfällt, werden Annäherungen in der Bewertung der Niederschlagung des Nationalsozialismus durch die Alliierten deutlich. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, bezeichnete den Sieg der Alliierten über Hitler-Deutschland als einen „Sieg der Freiheit und der Menschlichkeit“. Unter Hinweis auf die unterschiedliche gesellschaftspolitische Entwicklung in Ost- und Westeuropa sowie den 40 Jahre anhaltenden Kalten Krieg könne man nunmehr dieses Datum auch als „Tag der Kapitulation und der Befreiung“ sowie als „Tag für die Demokratie“ begehen.
Zweifellos müssen sich die Deutschen in Ost und West zu ihrer gemeinsamen und getrennten Geschichte bekennen. Dazu ist auch die schonungslose Erforschung und Darstellung der im deutschen Namen begangenen Verbrechen des Nazi-Regimes am eigenen Volk und an anderen Völkern erforderlich. Gleichermaßen müssen wir aber viel mehr wissen über die komplizierten Mechanismen der Etablierung und Sicherung der Macht der Nationalsozialisten in den Unternehmen, auf lokaler und regionaler Ebene. Diesbezüglich besteht nach wie vor ein weites Betätigungsfeld für die akademische historische Forschung und zahlreiche Geschichtsinitiativen von Laien. Von vielen Menschen wird aber auch heute Wachsamkeit eingefordert, wenn die Naziherrschaft verharmlost, relativiert oder schöngeredet wird. Dies gilt auch für die unterschiedliche Bewertung, Einordnung und Verurteilung des Nationalsozialismus sowie für den Umgang mit den Eliten dieses Regimes in beiden deutschen Staaten.
Neue Forschungsergebnisse, neu aufgefundene Dokumente, Interviews mit Zeitzeugen und politischen Aktivisten wurden anläßlich des öffentlichen Gedenkens an das Ende des Krieges einer breiteren Öffentlichkeit bewußter. Allein diese Tatsache rechtfertigt die gesellschaftlichen Aktivitäten zu Jubiläen. Allzu oft würde die notwendige Erinnerung an die Geschichte sonst Opfer der politischen und sozialen Entwicklungen der Gegenwart, der Schnellebigkeit unserer Zeit. In diesem Gedenkjahr ist eine Gesamtschau des Geschriebenen und Gesendeten nur schwer möglich; aber es dürfte insgesamt ein umfassendes und auch differenziertes Bild der historischen Ereignisse dieses Krieges und der sich daraus veränderten Welt entworfen worden sein.
Kaum aber gingen Autoren und Regisseure auf konkrete regionale Aspekte ein, schon gar nicht auf die Entwicklungen abseits der großen Ballungszentren. Dieses Heft will einige weitere Bausteine zur Geschichte des Nationalsozialismus und des Kriegsendes in Mecklenburg und Vorpommern hinzufügen.
So berichtet Eleonore Wolf über die letzten Kriegstage in Neubrandenburg, einer Stadt im verschlafenen ehemaligen Mecklenburg-Strelitz – die Realität des Krieges packte nun mit aller Härte auch hier zu. Der Historiker und Museologe Wolf Karge schreibt über die Kriegs- und Nachkriegsverluste von Kulturgut aus den Museen Mecklenburgs und Vorpommerns. Das Schicksal von NS-Tätern in Westmecklenburg nach 1945 stellt Bernd Kasten dar. Betrachtungen zum 60. Jahrestag der Befreiung des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück im Jahre 2005 liefern Wolfgang Jacobeit und Wolfgang Stegemann. In einem Aufsatz widmet sich Bernhard Scholz der Rolle der Zeugen Jehovas in KZ-Außenkommandos in Vorpommern. Mit diesem Beitrag wird ein weiteres wichtiges Forschungsergebnis zur Geschichte dieser Glaubensgemeinschaft in „Zeitgeschichte regional“ veröffentlicht. Susanna Misgajski stellt das Ausstellungsprojekt „Prora – mehr als nur ein schöner Strand 1933-1945“ vor. Auch das aktuelle Interview widmet sich unmittelbar der Problematik: Professorin Annelise Pflugbeil sprach mit Irmfried Garbe über das Kriegsende und die Entwicklung der Kirchenmusik in dieser Zeit.
Auch in diesem Heft widmen sich Autoren wieder der Nachkriegsentwicklung in Mecklenburg und Vorpommern. So meldet sich Christoph Wunnicke in der Rubrik „Diskussion“ zu den Auswirkungen des Kalten Krieges in Mecklenburg mit Ausführungen über den Tod des Arthur D. Nicholson in Techentin zu Wort. Kai Steffen Völkers Aufsatz untersucht die Konstitution der Landeskirche in Vorpommern auf der Grundlage der Entstehung der Pommerschen Kirchenordnung von 1950.
Für die aktiv Forschenden dürften die Archivmitteilungen in diesem Heft wieder von besonderem Wert sein. Ein Beitrag informiert über die Bestände des Stadtarchivs der Hansestadt Stralsund, ein zweiter über das Kreisarchiv Nordwestmecklenburg und ein letzter über die Online-Archivlandschaft Mecklenburg-Vorpommerns.
Insgesamt hofft die Redaktion erneut, daß das vorliegende Heft Anregung zur Diskussion, zum Mitmachen oder einfach nur interessante Lektüre ist.

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