Beschreibung
Es brauchte lange, bis wir Ihnen nun diese Ausgabe von Zeitgeschichte regional – umfänglicher als üblich – vorlegen konnten. Inzwischen ist der Sommer des Jahres 2004 Vergangenheit, in dem an vielen Orten Deutschlands und in unterscheidlichen Formen an die „Männer des 20. Juli“ 1944 erinnert wurde.
Keine Frage, der Zweite Weltkrieg und damit im Zusammen hang die nationalsozialistische Herrschaft sind wegen der Folgen und ihrer bis heute spürbaren Präsenz aus dem öffentlichen und privaten Bewußtsein der Deutschen nicht wegzudenken. Gleichwohl ist dadurch eine historische Erfahrungsschicht überlagert, die wahrzunehmen für das Verständnis des vergangenen Jahrhunderts unverzichtbar ist. Vor 90 Jahren, im Sommer des Jahres 1914, nahm mit dem Beginn eines Krieges zwischen den Mächten der Entente um die Republik Frankreich, das Britische Empire und das Russische Zarenreich auf der einen und den sogenannten Mittelmächten um das Deutsche Kaiserreich und die K. u. K.-Monarchie Österreich-Ungarn auf der anderen Seite eine Entwicklung ihren Anfang, die sich zu einem Weltkrieg und in die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ auswachsen sollte. Das Unvermögen, die der Potenz menschlichen Handelns innewohnende Gefährlichkeit in ihrer Wechselwirkung zu erkennen und adäquat zu berücksichtigen, brachte angesichts der quantitativ und qualitativ potenzierten technischen Fähigkeiten und Ziele Millionen und aber Millionen Menschen seit 1914 den Tod.
Krieg wird als Thema in diesem Heft immer wieder auftauchen. Sehr persönliche Sichten darauf treten bei der Lektüre von Feldpostbriefen und anderen „Ego-Dokumenten“ zutage, die von Matthias Manke unter Bezugnahme auf Quellen aus dem Landeshauptarchiv Schwerin behandelt werden. Die Tragweite ihrer Entscheidung für einen Krieg zu überblicken, waren die politisch Verantwortlichen 1914 nicht in der Lage. Damit standen und stehen sie in der Geschichte nicht allein. Diese mit dem Duktus einer Binsenweisheit daher kommende Feststellung birgt bei genauerer Betrachtung einige Brisanz, steht doch dahinter das grundsätzliche Hinterfragen von Machtansprüchen. Im 20. Jahrhundert waren die Beispiele Legion, da – Beleg für die Begrenztheit des menschlichen Horizonts in einer komplexen Welt – die Ergebnisse von Entscheidungen ihren Intentionen entgegenstanden. Wolf Karge geht am Beispiel der Überlieferung der Zentralstelle für Frauenarbeit in Mecklenburg-Schwerin aus den Jahren 1917-1919 der Frage nach, welche Bedeutung die während des Ersten Weltkrieges erzwungene massenhafte Mobilisierung von Frauenarbeitskraft als Ersatz für die in den Millionenheeren verblutenden Männer für die Frauenemanzipation hatte.
Dem Bombenkrieg, der seit den 1930er Jahren die Unterscheidung von Front und Hinterland zunehmend aufhob und die Zivilbevölkerung in neuen Formen und Dimensionen dem Kriegsgeschehen aussetzte, galt in historiographischen Darstellungen der letzten Jahre verschiedentlich besondere Beachtung. An dieser Stelle wird in zwei Beiträgen der Behandlung alliierter Flieger, die in deutsche Gefangenschaft geraten waren, nachgegangen. Gewissermaßen aus erster Hand erhalten wir Informationen über die Geschichte eines Kriegsgefangenenlagers für gefangenes alliiertes Fliegerpersonal bei Barth, dem sogenannten Stalag Luft I von Helga Radau und Martin Albrecht. Bernd Kasten hingegen rekonstruiert den Mord an amerikanischen Fliegern, die 1944 über Mecklenburg abgesprungen waren. Das Landesgedenkstättenseminar Mecklenburg-Vorpommern im Mai 2004 war der Auseinandersetzung mit dem Diskurs über die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges gewidmet. Andreas Wagner zieht eine Bilanz.
Neben dem Themenschwerpunkt erfährt die Entwicklung des evangelisch-kirchlichen Lebens in Pommern eine – gleich mehrfache – Würdigung durch Friedrich Winter, der den ökumenischen Aufbruch der Pommerschen Evangelischen Kirche nach 1945 beschreibt, durch Christoph Wunnicke, der in einem Rückblick auf den Kirchentag vom Juni 1978 in Stralsund die politischen Rahmenbedingungen verdeutlicht, unter denen Kirche in der DDR seit den 1970er Jahren agierte und durch Karin A. Oehlmann, die ein Lebensbild Stephanie Mackensens von Astfeld in der pommerschen Bekennenden Kirche skizziert.
Auch Uwe Kiel mit seiner Darstellung der jüngeren Geschichte des Greifswalder Stadtarchiv und Uta Rüchel mit ihrer Längsschnittbetrachtung der Entwicklung des Denkmalschutzes in Stralsund in verschiedenen politischen Systemen von der Weimarer Republik bis zum Ende der DDR bleiben mit ihrem Gegenstand in Vorpommern.
Wie immer wird auch in diesem Heft der Darstellung historischer Projektarbeit Raum gegeben.
Vor allem auf dem Territorium des heutigen Mecklenburg-Vorpommern befanden sich die Außenlager des Konzentrationslagers Ravensbrück. Die gegenwärtige Situation des Umgangs mit diesem Teil der Geschichte jener Orte analysiert Alexandra Klein in ihrem Beitrag. Rolf Feige und Andreas Handy referieren jeweils über ihre in Nordvorpommern und im Müritzkreis realisierten historisch-politische Bildungsprojekte, die aus den Förderprogrammen CIVITAS des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend sowie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit unterstützt wurden. Auf die Initiative von Politische Memoriale e.V. geht der Runden Tisch „Historisch-politische Bildungsarbeit in Mecklenburg-Vorpommern“ zurück, der
zahlreiche Bildungsträger und -initiativen aus Mecklenburg-Vorpommern zu einer themenbezogenen Zusammenarbeit, etwa zur Erarbeitung eines aktuellen Gedenkstättenführers, versammelt. Michael Thoß und Andreas Wagner stellen die Idee im einzelnen dar.
Neuigkeiten aus der Archivlandschaft Mecklenburg-Vorpommerns werden aus dem Stadtarchiv Güstrow vermeldet. Aus anderen Bundesländern stellen Andreas Kurschat und Victoria Overlack Projekte vor, die „evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts“ und Hamburger Kirchgemeinden in der NS-Zeit untersuchen werden.
Wie gewohnt, werden Ihnen auch in diesem Heft zahlreiche jüngst erschienene Titel mit Bezug zur Zeitgeschichte unseres Landes per Annotation und Rezension vorgestellt, um die Informationspalette abzurunden.
In der Hoffnung, daß Sie durch die Qualität dieser Ausgabe und der Beiträge für die Wartezeit entschädigt sind, wünschen wir Ihnen eine anregende Lektüre.
Ihre Redaktion