Editorial
In der letzten Ausgabe von „Zeitgeschichte regional“ standen im Zusammenhang mit dem Thema „60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus“ Themen zur Geschichte des Naziregimes im Vordergrund. In diesem Heft sollen die Entwicklungen der unmittelbaren Nachkriegszeit in Mecklenburg und Vorpommern exemplarisch betrachtet werden.
Das Gebiet des heutigen Bundeslandes wurde Bestandteil der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und damit eines der wirtschaftlichen und politischen Ausgangsterritorien der künftigen DDR, die sich im Oktober 1949 konstituierte. Die politischen Voraussetzungen für diese Entwicklungen wurden durch die Besatzungsmacht der Sowjetunion geschaffen. Ebenso, wie im Westen die politische und wirtschaftliche Entwicklung der künftigen Bundesrepublik Deutschland von den westlichen Besatzungsmächten bestimmt wurde, diktierte die UdSSR ihre Vorstellungen über die Zukunft des verbliebenen östlichen Teils Deutschlands. Selbstverständlich gab es bezüglich der geplanten gesellschaftlichen Entwicklung in Ost und West viele Illusionen und Hoffnungen. Schon unmittelbar nach der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde Deutschlands in Berlin-Karlshorst äußerte der deutsche General Jodl: „Mit dieser Unterschrift sind das deutsche Volk und die deutschen Streitkräfte auf Gedeih und Verderb der Hand des Siegers ausgeliefert [...]. Ich kann in dieser Stunde nur die Hoffnung ausdrücken, dass die Sieger sie mit Großmut behandeln werden.“
Der Psychiater und Philosoph sowie Begründer des deutschen Existentialismus Carl Jaspers schrieb: „Dass wir am Leben sind, soll einen Sinn haben. Vor dem Nichts raffen wir uns auf.“ Er wies mit dieser Aussage darauf hin, dass es auch nach den unglaublichen Verbrechen der Nazis und den Folgen des Krieges durchaus lohnenswert sein könnte, sich den Aufgaben der friedlichen Gestaltung seiner künftigen Lebensumwelt zu widmen, auch wenn sich die übergroße Mehrheit des deutschen Volkes in den Jahren des nationalsozialistischen Regimes falsch orientiert hatte. Es musste einen Sinn ergeben, dass die siegreichen Gegner dem deutschen Volk die Chance für einen Neubeginn ihres Denkens und Handels geben wollten.
Theodor Heuss brachte die Ambivalenz der historischen Situation auf die Formel: „Wir sind erlöst und vernichtet in einem gewesen.“ Zweifellos traf er mit dieser Aussage auf die Gefühlswelt sehr vieler Deutscher.
Das Zentralkomitee der KPD formulierte in ihrem Aufruf vom 11. Juni 1945: „Unsere Städte sind zerstört, weite und ehemals fruchtbare Gebiete verwüstet und verlassen. Die Wirtschaft ist desorganisiert und völlig gelähmt. Millionen und aber Millionen Menschenopfer hat der Krieg verschlungen, den das Hitlerregime verschuldete. Millionen wurden in tiefste Not und größtes Elend gestoßen […]. Die Schuld und Verantwortung tragen die gewissenlosen Abenteurer und Verbrecher, die die Schuld am Kriege tragen. Es sind die Hitler und Göring, Himmler und Goebbels, die aktiven Anhänger und Helfer der Nazipartei.“
Im Potsdamer Abkommen hieß es letztendlich: „Das deutsche Volk muss überzeugt werden [...], dass es sich nicht der Verantwortung entziehen kann für das, was es selbst dadurch auf sich geladen hat, dass seine eigene mitleidlose Kriegsführung und der fanatische Widerstand der Nazis die deutsche Wirtschaft zerstört und Chaos und Elend unvermeidlich gemacht haben.“
Die aktuelle Ausgabe von „Zeitgeschichte regional“ will versuchen, die Kompliziertheit der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Nachkriegsentwicklung in Mecklenburg und Vorpommern zu erfassen.
So analysiert Dirk Schleinert die Geschichte des Kreises Usedom-Wollin von Mai bis Oktober 1945. Ihm gelingt dabei ein bemerkenswerter Einblick in bisher verborgene Bereiche der Regionalgeschichte.
Arne Pfau widmet sich der Entwicklung der Psychiatrie in der SBZ und der DDR unter besonderer Berücksichtigung der Bedingungen in Mecklenburg und Vorpommern.
Über die wirtschaftlichen Probleme des Helfens in einer schier ausweglosen Situation berichtet Friedrich Bartels in seinem Beitrag über die Züssower Diakonieanstalten.
Eleonore Wolf gelingt es mit ihrem Aufsatz „Trümmerfrauen schufen die Grundlage für den Wiederaufbau der Stadt“, wichtige Aspekte des Lebens nach dem Zusammenbruch zu betrachten.
Zweifellos ist der Beitrag von Martin Holz über die sudetendeutschen Flüchtlinge für die frühe wirtschaftliche Entwicklung der Insel Rügen nach dem Zweiten Weltkrieg ein bemerkenswerter Einblick in die Gestaltung des Wirtschaftslebens im Nordosten der Sowjetischen Besatzungszone. Der Aspekt der wirtschaftlichen und sozialen Integration der deutsch stämmigen Flüchtlinge nach 1945 gehört ohnehin zu den Desideraten historischer Forschung.
Den schwierigen Problemen der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Pommerschen Evangelischen Kirche während der ersten Nachkriegsjahre wendet sich Friedrich Winter zu.
Nochmals der Geschichte Neubrandenburgs widmet sich Rainer Szczesiak in seinem Aufsatz über die Rolle der Stadt als mecklenburgischer Militär- und Rüstungsstandort.
Weiterhin spielt in diesem Heft die konkrete Bedeutung zeitgeschichtlich relevanter Quellen archäologischen und fotografischen Ursprungs eine Rolle. Die quellenkritische Analyse scheint diesbezüglich besonders wichtig.
Die Redaktion wünscht sich auch für diese Ausgabe streitbare Resonanz aus der Leserschaft und würde sich besonders freuen über engagierte individuelle Werbung für die Zeitschrift. Wie auch der Verlag im Kontakt mit Kunden bei Büchertischen, Messen und Werbeveranstaltungen bemerkt, ist „Zeitgeschichte regional“ insbesondere bei Geschichtslehrern im Lande auch fast zehn Jahre nach Gründung unserer Zeitschrift noch nicht flächendeckend bekannt. Oft kann nur die Werbung unserer Leser helfen, diese Lücke zu schließen. Seien Sie uns also nicht nur gewogen durch Ihre Aktivität als Leser und Autor, sondern auch als „Vertreter” für „Zeitgeschichte regional“. Wir denken dabei auch daran, über diesen Weg Ideen und Themen für die Zukunft zu gewinnen. Und was ist interessanter, als Fragen an die Vergangenheit zu stellen?
Ihre Redaktion
Inhalt
E d i t o r i a l
D a s T h e m a
Dirk Schleinert
Der Kreis Usedom-Wollin von Maibis Oktober 1945 und sein erster Nachkriegslandrat
Arne Pfau
Die Entwicklung der Psychiatrie in der SBZ/DDR, insbesondere im Land Mecklenburg-Vorpommern nach 1945
Friedrich BarteIs
„Es fehlt an allem…“ – der Beginn der Züssower Diakonieanstalten im Herbst 1945
Martin Holz
„Die Sudetendeutschen, die konnten aus nichts alles machen.“ Die Gründung der Rügener Flachsindustrie in Lauterbach durch vertriebene Sudetendeutsche im Jahre 1947
Friedrich Winter
Zur „Entnazifizierung“ in der Pommerschen Evangelischen Kirche (1945-1948). Bericht über drei Jahre Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
Eleonore Wolf
Trümmerfrauen schufen die Grundlage für den Wiederaufbau der Stadt
A u f s ä t z e
Rainer Szczesiak
Neubrandenburg zur Zeit des „Dritten Reiches“. Ein Militär- und Rüstungsstandort in Mecklenburg
Sven Müller
Der nicht geleistete Eid des Rostocker Griechisch-Professors Kurt von Fritz auf Adolf Hitler – „preußisch-starre Haltung“ oder staatsbürgerliche Verantwortung von Wissenschaft?
Martin Albrecht
Der Leitturm des Fliegerhorstes Barth. Zur Archäologie und Geschichte eines vergessenen Ortes
Kathrin Becker
Regionalperspektive. Die Verwendung von Fotografien in den „Mecklenburgischen Monatsheften“ (1925-1943)
D a s D o k u m e n t
Irmfried Garbe
Deportiert aus Pommern nach Piaski. Mitteilungen aus den Briefen der Anklamerin Anna Grüneberg
L e b e n s e r i n n e r u n g e n
Horst Beintker
Mein Kriegsende 1945 in Mecklenburg-Vorpornmern und der Neuanfang danach
R e g i o n a l e G e s c h i c h t s a r b e i t
Frank Flemming
Notiz zum 5. Greifswalder Zeitgeschichtlichen Kolloquium am 12. Mai 2005 im Landesarchiv Greifswald
Andreas Wagner
Zehn Jahre Geschichtswerkstatt Rostock e.V.
Heike Müller
Johan Viktor Bausch – aus einem Schicksal wurde Engagement
Andreas Wagner
„12 von 750 Jahren“. Ausstellung zur NS-Geschichte der vorpommerschen Stadt Barth eröffnet
AndreasWagner
Drittes Häftlingstreffen in Bützow vom 14. bis 16. September 2005. Formen des Erinnerns in Familie und Gesellschaft
H i s t o r i s c h e s L e r n e n
Michael Thoß
Der Schülerwettbewerb „Greifswald im Nationalsozialismus“ – eine Bilanz
Andreas Wagner
„Ja, so fing unsere neue Heimat an…“ Auf Spurensuche zur Geschichte der Umsiedlerlager im Landkreis Güstrow
A r c h i v m i t t e i l u n g e n
May Hempel
Das Mecklenburgisch-Vorpommersche Gewerbe- und Wirtschaftsarchiv
R e z e n s i o n e n / A n n o t a t i o n e n
Röpcke, Andreas (Hg.)
Die Bestände des Landeshauptarchivs Schwerin. Nichtstaatliches Archivgut und Sammlungen
(Wolf Karge)
Wulfert, Martin
Bad Sülze. Eine Chronik in Bildern (I und II)
(Wolf Karge)
Blechle, Irene
„Entdecker“ der Hochschulpädagogik – die Universitätsreformer Ernst Bernheim (1850-1942) und Hans Schmidkunz (1863-1934)
(Kyra T. Inachin)
Niemann, Mario
Ländliches Leben in Mecklenburg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
(Klaus-J. Lorenzen-Schmidt)
Schnatz, Helmut
Der Luftangriff auf Swinemünde. Dokumentation einer Tragödie
(Andreas Wagner)
Jahnke, Karl Heinz
Endpunkt KZ Auschwitz. Frühere Angehörige der Universität Rostock
(Nadine Centner)
Jortzik, André
Nacht über St. Marien. Wismar 1945. Mit Bildchronik und Augenzeugenberichten
(Florian Ostrop)
Jochims-Bozic, Sigrun
„Lübeck ist nur eine kurze Station auf dem jüdischen Weg.“ Jüdisches Leben in Schleswig-Holstein 1945-1950
(Kurt Schilde)
Fischer, Bernd Erhard
Wolfgang Koeppen in Greifswald
(Kai Agthe)
N e u e r s c h e i n u n g e n
K u r z v o r s t e l l u n g d e r A u t o r e n
A d r e s s e n d e r A u t o r e n
I m p r e s s u m