Demokraten und ihre Gegenspieler. Norddeutsche in der Revolution von 1848/49

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Beschreibung

Einleitung

„Wir müssen in der Geschichte unseres Volkes nach jenen Männern spüren und ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, die dafür gelebt und gekämpft haben, damit das deutsche Volk politisch und moralisch verantwortlich sein Leben und seine Ordnung selbst gestalten kann.“ (Gustav Heinemann)

Schon 1996/97 zeichnete sich ab, daß in den neuen Bundesländern nur wenige Aktivitäten den 150. Jahrestag der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49 begleiten werden. Die Ursachen, weshalb das Gedenken an das Ringen der 48er Revolutionäre für Menschen- und Bürgerrechte in unserem Bundesland kaum Widerhall fand, ist vielfältig und soll daher an dieser Stelle nicht erörtert werden.
Angesichts der zu erwartenden Entwicklung entschloß sich die Robert Bosch Stiftung Stuttgart, 1997 das Förderprogramm „Die Revolution von 1848/49 auf dem Gebiet der heutigen neuen Bundesländer“ aufzulegen. Ziel des Projektes war es, vorhandene bürgerschaftliche Initiativen mit den notwendigen Mitteln auszustatten, um ihnen die Möglichkeit zu geben, Ideen und Vorhaben anläßlich des Revolutionsjubiläums umzusetzen.
Daher reichte die Rostocker Geschichtswerkstatt 1997 einen Antrag auf Projektförderung ein, mit dem Ziel, die Worte des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann in Rostock mit Leben zu erfüllen. Hier drohte das Jubiläum weitestgehend unbemerkt vorüberzugehen. Völlig zu Unrecht, denn in Norddeutschland war die Revolution von 1848/49 ein demokratiegeschichtliches Ereignis ersten Ranges.

Im Februar 1848 reagierte die Bevölkerung Mecklenburgs auf die revolutionären Ereignisse in Paris und im März in Berlin spontan mit einer starken antifeudalen, teilweise radikal-demokratischen Bewegung. In vielen Städten gründeten Vertreter des Bürgertums Reformvereine (z.B. Rostock), in größeren urbanen Zentren entstanden vereinzelt radikaldemokratische Arbeitervereine (z.B. Schwerin). Auf dem platten Lande kam es unter den Landarbeitern zu antifeudalen Aktionen, die in der Gegend um Waren/Müritz in bewaffnete Kämpfe mündeten. Die mecklenburgischen Regierungen in Schwerin und Neustrelitz wurden mit Petitionen überhäuft. Liberal gesinnte Gutsbesitzer, wie Dr. Samuel Schnelle, Theodor Stever, Johann Pogge, forderten demokratische Veränderungen. Die Zensur wurde aufgehoben und die Wahl-, Presse- und Versammlungsfreiheit eingeführt.
Kurzzeitig hatte Mecklenburg in verfassungspolitischer Hinsicht den Schritt von einem rückständigen feudalständischen Staat zu einem modernen bürgerlichen Gemeinwesen vollzogen. Doch bereits 1850 wurden durch den Freienwalder Schiedsspruch alle erstrittenen Rechte wieder aufgehoben. Führende Persönlichkeiten der Revolution, wie der Rostocker Anwalt Moritz Wiggers und dessen Bruder, der Theologe Julius Wiggers, die Professoren der hiesigen Universität Karl Türk und Christian Ludwig Theodor Wilbrandt, der Boizenburger Rektor Ludwig Reinhard (Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung), der Schweriner Hofbaumeister Georg Adolph Demmler (Mitbegründer der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt a. M.) sowie der Literat Julius Polentz verloren ihre Ämter und/oder wurden in Hochverratsprozessen zu mehrjährigen Festungsstrafen verurteilt. Andere entzogen sich der Inhaftierung durch Flucht und Auswanderung.
Leben und Werk zahlreicher vorab genannter Demokraten waren zumeist eng mit den revolutionären Ereignissen in Norddeutschland verknüpft. Exemplarisch seien Männer wie Harro Harring, Friedrich Chrisroph Dahlmann, Samuel Schnelle und Moritz Wiggers erwähnt, die durch ihr Handeln auf nationale und internationale Geschehnisse Einfluß nahmen. So versteckte der mecklenburgische Gutsbesitzer Schnelle den bekannten deutschen Literaten und Germanisten Hoffmann von Fallersleben von 1844 bis 1850 auf seinem Gut Holldorf bei Wismar. Wiggers, von 1867 bis in die 1870er Jahre Mitglied des Deutschen Reichstages, organisierte 1850 die Flucht des Dichters Gottfried Kinkel und des späteren Divisionskommandeurs sowie Innenministers der USA, Carl Schurz, über Rostock nach Schottland.
Neben den genannten, die ihr Leben der Demokratie verschrieben hatten, gab es aber auch zahlreiche Männer, die mithalfen, die bürgerlich-demokratische Revolution in Deutschland niederzuwerfen. Dazu zählten neben Otto von Bismarck und Hans-Hugo von Kleist-Retzow auch mecklenburgische Militärs, wie Generalmajor von Elderhorst und Oberst von Witzleben. Letztere waren u.a. an der Niederschlagung des „Badischen Aufstandes“ beteiligt.
Dank der durch die Robert Bosch Stiftung bereitgestellten „demokratiestimulierenden“ Mittel konnte die Rostocker Geschichtswerkstatt die historischen Ereignisse um 1848/49 im norddeutschen Raum (Mecklenburg, Pommern, Schleswig-Holstein) durch verschiedene Aktivitäten öffentlichkeitswirksam darstellen. Dazu zählten u.a. ein „Revolutionsfest“
und ein „Revolutionsführer“ in Form eines Faltblattes. Darüber hinaus lud die Geschichtswerkstatt am 19./20. März 1999 zu einer Tagung nach Rostock ein. Zwei Tage lang referierten und diskutierten Teilnehmer aus Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und der Wojewodschaft Szczecin zu Fragen der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49 in Norddeutschland. Im Vordergrund stand dabei vor allem der biographische Aspekt.
Um die auf der Tagung vorgelegten Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit vorzulegen, wurde das nunmehr vorliegende Buch konzipiert. Der biographisch orientierte Sammelband vereint sowohl mecklenburgische, pommersche als auch schleswig-holsteinische Revolutionäre und einige ihrer Gegenspieler. Damit wurde u.a. auch dem regionalen und nationalen Charakter der revolutionären Ereignisse, vor allem aber den überregionalen Lebensläufen der vorgestellten Protagonisten Rechnung getragen.
Die Publikation ist das Ergebnis dieser Tagung. Der Sammelband enthält sowohl Beiträge von „Profis“ als auch „Hobbyhistorikern“. Allein der Anmerkungsapparat verdeutlicht dies.
Um eine breite interessierte Leserschaft zu erreichen, wurde auf verständlich geschriebene Texte Wert gelegt. Der wissenschaftliche Apparat ist weitestgehend kurz gehalten worden und enthält nur die notwendigsten Literatur- und Quellenangaben.

Dr. Reno Stutz